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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Ein Engel singt. Schon etwas ergraut, aber immer noch ein Engel. Martha Argerich, die es nicht nötig hat, ihre Mähne zu verschrödern, spielt Bach, live, in Verbier, beim Festival. Sie spielt die zweite Partita in c-Moll, wenn man so will, der Göttlichen Leib- und Magenstück unter Bachs Werken für Klavier. Aber nichts ist da zu spüren von Abwägung, von Wiederholung, von Abspulung. Wenn Martha Argerich sich in die Allemande oder in die Sarabande versenkt, dann ist das in seiner atmenden Sanftheit wie ein gleichermaßen schlichter, ätherischer Gesang, ein Gesang von irgendwo her, der die Welt mit sich versöhnt. Dieser lyrischen Intensität steht ein schroffes Gebaren entgegen, wie es sich zumal in der Courante, aber auch im Rondo und in Teilen der Sinfonia entäußert. Martellato-Kultur vom Feinsten, nicht darum bemüht, irgendetwas zu glätten. Wie Eisennägel hämmert sie ihre Finger in die Tasten, da gibt es kein Pardon. Man staunt, aber die motorische Energie dieser Pianisten ist ungebrochen, ebenso ihr Esprit de Finesse, wenn sie etwa im Capriccio die Synkopen aus dem Notentext herausmeißelt.
Wie es ihre Art ist, hat sie in Verbier wieder Freunde um sich versammelt. Mit dem anderen grauen Panther Mischa Maisky spielt sie die Cellosonate von Grieg: glühendes, tief romantisches Bekenntnis, mit Renaud Capuçon Bartóks Sonate Sz 75, die erste der Gattung, ein Werk der Extreme, der Grenzgänge, und ebenso interpretiert, beinahe wie ein Bild von Munch – wie "Der Schrei". Mit Gabriela Montero und Stephen Kovacevich serviert sie Häppchen von Mozart und Lutosławski, vitalisierende Moments musicaux, die aber wenig in die Tiefe gehen. Das Größte aber hebt sich Martha Argerich für den Schluss dieser DVD auf: das Klavierquintett von Dmitri Schostakowitsch. Ihre Partner sind wiederum Maisky, dazu die Geiger Joshua Bell und Henning Kraggerud, der Bratscher Yury Bashmet. Und wir hören ein Lied über die Welt, so innig, wie wir es selten hören. Ein Lied von der Schönheit der Welt. Und von ihrer Hässlichkeit. Da ist alles drin. Und das ist schlichtweg grandios gespielt. Als würde ein Engel singen, dabei aber auch von der Hölle künden.

Tom Persich, 31.10.2009


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