DG/Universal 477 9060
(73 Min., 2/2010)
Es ist vollbracht. Mit dem Live-Mitschnitt des "Adagio" aus der unvollendet gebliebenen 10. Sinfonie beschließt Pierre Boulez seine Mahler-Gesamtaufnahme. Und um gleich allen Spekulationen vorzubeugen, ob er nicht vielleicht selber mal Hand anlegen wolle ans Fragment, äußert sich Boulez im Booklet-Interview eindeutig: Die Skizzen sind so dürftig, dass man grundsätzlich die Finger von solchen Experimenten lassen sollte. Daraus spricht weniger der Komponist Boulez, der einige seiner Werke immer wieder einer Revision unterzogen und neu durchdrungen hat, als vielmehr der analytische Sachverstand des Dirigenten Boulez. In den 15 Jahren, in denen das Mahler-Gesamtprojekt Schritt für Schritt Kontur angenommen hat, hat sich Boulez' Herangehensweise an die zerklüfteten Klangpanoramen kaum verändert. Und so gelingt Boulez auch beim sinfonischen Schlusspunkt Mahlers das Kunststück, die sprengkraftgeladene Aktualität dieser Musik bis in die letzte Nervenfaser deutlich zu machen. Das verstörende Leidensflackern und scheinbar verzaubernd Idyllische schlägt daher nirgendwo in eine Art spirituell aufgeladene Meta-Musik um. Vielmehr lässt Boulez das Innerste dieses Satzes mit einer erregenden Unmittelbarkeit derart zu uns sprechen, dass selbst im kostbar sanften Streicherfluss brutalstes Espressivo steckt. Selten wurde Mahlers ebenso kühner wie steiniger Weg des endgültigen Abschiednehmens so ungeschminkt und wirklichkeitsnah ausgeleuchtet.
Wer mit allen sinfonischen Mahler-Klischees so gnadenlos aufgeräumt hat, bleibt seiner Gangart selbstverständlich auch bei den Liedern treu. Zwölf Mahler-Vertonungen von Texten aus der Volksliedsammlung "Des Knaben Wunderhorn" standen im Februar auf dem Programm, als Boulez mit Magdalena Kožená und Christian Gerhaher beim Cleveland Orchestra gastierte. Und auch wenn man zunächst gepackt ist von einer grotesk humorigen Klangsprache, die mit ihren Marschrhythmen und Ländlern fröstelnd und zugleich selig macht, lassen die beiden Spitzensolisten keinen Zweifel daran, wie zerbrechlich gläsern selbst diese Liederwelten sind.
Guido Fischer, 27.11.2010
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