harmonia mundi HMC 902093
(66 Min., 9/2010)
Der Weg des heute 43-jährigen Bejun Mehta zur Gesangskarriere war kein ganz geradliniger: Auf eine erfüllte Zeit als Knabensolist folgte eine Phase der lähmenden Trauer über den Verlust ebendieser Stimmlage, und Neustart-Versuche als Bariton blieben unbefriedigend. Erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre begann er, unterstützt u.a. von David Daniels und Marilyn Horne, seine Counter-Stimmlage systematisch zu entwickeln, um sich dann allerdings schon vor der Jahrtausendwende einen Namen zu machen vor allem als Interpret barocker Opernpartien.
Auf der vorliegenden CD präsentiert der Amerikaner Mehta nun ein wundervolles Programm englischer Liedkompositionen von Warlock, Stanford, Gurney, Finzi und Vaughan Williams, Vertretern jener im Tonfall so unverwechselbaren englischen Spät- und Spätest-Romantik, dazwischen auch ein paar Titel von Henry Purcell. Wie gesagt: Das Repertoire ist traumhaft schön und durchweg ein Genuss: Roger Quilters Shakespeare-Vertonungen, darunter das häufig komponierte „It Was A Lover and His Lass“, begeistern ebenso wie auch die wenig bekannten Lieder des erst 1983 verstorbenen Herbert Howells. Bekannter u.a. durch Janet Bakers großartige Wiedergabe ist dagegen Stanfords „La Belle Dame sans merci“, leidlich bekannt sind vielleicht auch Titel von Ralph Vaughan Williams wie etwa „Linden Lea“ oder „Silent Noon“ – Lieder, denen sich in jüngerer Zeit etwa Bryn Terfel häufig gewidmet hat.
Bejun Mehtas Darbietungen erfreuen indes nicht ohne Einschränkungen: Unterm Strich eher überzeugend agiert er vor allem in bewegteren Nummern wie „It Was A Lover…“ oder „Linden Lea“: Hier bringt er es immer wieder passagenweise zu einem charmanten Erzählton und versteht es, die reizvollen Melodielinien sehr geschmeidig zu gestalten, mal zarter, mal zupackender. Allerdings befremdet auch in diesen Liedern immer wieder eine etwas unnatürliche Stimmgebung vor allem bei engeren Vokalen, die ihm sehr spitz geraten und ins Nasale tendieren. Vermutet der Hörer hier eine Ermüdung des Stimmmaterials, dann wird diesem Verdacht weitere Nahrung gegeben in langsamen Gesängen wie Gurneys „Down By The Salley Gardens“ (wo übrigens in beiden Strophen dieselben zwei falschen Töne verwundern) oder Quilters „Come Away, Death“: Mehta gelingt es vor allem auf länger zu haltenden Tönen nicht, ein störendes flatterndes Vibrato unter Kontrolle zu bringen. Das unruhige Gewackel konterkariert die Freude an den Kantilenen maßgeblich, und man kann sich kaum vorstellen, dass es sich bei diesem penetranten Störfaktor um ein bewusst eingesetztes Ausdrucksmittel handeln sollte. Eine Folge von Überlastung also? Countertenorstimmen, das haben zum Beispiel die Laufbahnen von René Jacobs oder Michael Chance gezeigt, sind mitunter sehr empfindlich, und Mehta ist nicht mehr der Jüngste. Bleibt zu hoffen, dass ihm das Problem bewusst ist.
Michael Wersin, 03.09.2011
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