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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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The Time Of The Sun

Tom Harrell

High Note/Zyx HCD 7222
(62 Min., 12/2010)

Es gibt Kollegen, die von Tom Harrell voller Respekt behaupten, dass er nicht von diesem Planeten stamme. Wenn man den inzwischen 65 Jahre alten Trompeter bei Konzerten sieht, kann man das nur unterstreichen. Wie ein lebloser Androide verharrt Harrell am Bühnenrand, wenn seine Kollegen spielen – um dann plötzlich die außerirdischsten Soli von sich zu geben. Es ist mehr als erstaunlich, wie der an Schizophrenie leidende Trompeter immer wieder über seine Krankheit triumphiert.
Er ist eben nicht von dieser Welt. Das legt auch der Beginn der vierten Einspielung seiner aktuellen Working Band nahe. Man vernimmt merkwürdige, synthesizerartige Sounds, die sich im Booklet als Audioaufnahmen der elektromagnetischen Aktivität der Sonne entpuppen. Ähnlich organisch erweist sich Harrells Musik. Die hat viel Vertrautes, bleibt aber bei aller Wärme seltsam cool. Die Eruptionen finden gewissermaßen inwendig statt.
Nachdem Harrell in den 90er Jahren viel für größere Formationen gearbeitet hatte und dabei eher dem Swing- und Latin-Idiom verpflichtet gewesen war, schreibt er mit seinem Quintett nun die Hardbop-Tradition seines ehemaligen Arbeitgebers Horace Silver fort. Mit seiner Komposition „Modern Life“ verbeugt sich Harrell unüberhörbar deutlich vor dem Pianisten.
Zeitlos ist „The Time Of The Sun“, aber nicht gestrig: Drummer Jonathan Blake mit seinen HipHop-Backbeats, Bassist Ugonna Okegwo mit seinen volltönenden Grooves und nicht zuletzt die von Danny Grissett eingeworfenen Rhodes-Funkyzismen verleihen den Harrell-Nummern „Ridin’“, „Dream Text“ und „Cactus“ durchaus eine gewisse Gegenwarts-Hipness.
Reizvoll auch, wie sich die unterschiedlichen Solisten-Temperamente von Harrell und seinem Tenorsaxofonisten Wayne Escofferty ergänzen. Während Letzterer auch bei den Samba-Jazz-Präzisionen, die den Rest des Albums ausmachen, eine bissige Sprödigkeit an den Tag legt, strahlt Harrell mit jeder Note. Gleißend, aber nicht blendend zeigt er, dass der letzte große Trompeter der Hardbop-Ära immer noch voll da ist. Eine Sonne, um die andere nur kreisen können.

Josef Engels, 03.09.2011


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