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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Johannes Brahms

Sinfonien Nr. 1-4

Tonhalle-Orchester Zürich, David Zinman

RCA/Sony 88697 93349 2
(4/2010) 3 CDs

„Seine Musik vermittelt ein ganz eigenartiges Gefühl der Zufriedenheit“. Was David Zinman, seit 16 Jahren gefeierter Chef des Zürcher Tonhalle-Orchesters, zu Brahms kundtut, muss jeden skeptisch stimmen, der die Leidenschaften und eruptiven Kräfte kennt, die die großen Brahms-Exegeten der letzten 60 Jahre von Furtwängler bis Gardiner den vier Sinfonien entlockt haben. Sicher: Mit Beckerats Portraits vom Zigarre rauchenden, schwelgerisch die Augen schließenden Pianisten vor Augen kann man bei Brahms leicht „Zufriedenheit“ assoziieren. Aber weder der formstrenge Komponist, der Gefühlsaufwallungen immer in komplexe motivisch-thematische Bahnen lenkte, noch der gemütlich-gesellige Schweiz-Urlauber, der am Thuner See Clara oder andere Schönheiten besang, sollte dazu dienen, allzu viel bürgerliche Behaglichkeit in seine Musik hineinzuprojizieren.
Gottlob tut das auch Zinman nicht bzw. nur bedingt. Zwar sind seine Tempi, verglichen mit den historisierenden Aufnahmen eines Mackerras, Norrington oder Gardiner, meist gemäßigt, und die emotionalen Höhepunkte, etwa die Schlussapotheose der Ersten und Zweiten bleiben, im Vergleich mit Furtwängler, Szell oder Bernstein, temperierte Brahms-Bekenntnisse (rühmliche, dramatische Ausnahmen: das zackig heraus gemeißelte Allegro giocoso und der „energico e passionato“-Ingrimm der Vierten). Was die Aufnahmen auszeichnet, ist die minutiöse Sorgfalt, die man dem Hausgott der Tonhalle angedeihen ließ: An der Decke des Bürgertempels findet er sich verewigt, als einzig Lebender unter den Größen seiner Zunft; ihrer festlichen Einweihung wohnte der Geehrte 1895, ein Jahr vor seinem Tod, noch selbst bei.
Zinmans außergewöhnliche Partiturarbeit fällt schon in der düster dräuenden Eröffnung der Ersten auf, wenn die Bässe das manisch Bohrende – Symbol der jahrzehntelangen Abarbeitung an Beethoven? – wirklich einmal hörbar machen, was selten genug der Fall ist. Mustergültig auch die Zürcher Gesangskultur in den Andante-Sätzen (zum „Dahinschmelzen“ vor allem in der Dritten): Man findet nicht viele Holzbläser- und Celli-Gruppen, die derart schlank und homogen Legatobögen zeichnen und so das Innenleben eines Komponisten auffächern, das in seiner intimen Fragilität offenbar doch weit schattierungsreicher war als es jene „Zufriedenheit“ erwarten lässt. Nicht satthören mag man sich auch an dem geerdeten, mittelstimmenvollen Sound des Schweizer Vorzeigeorchesters. Mit ihm wie auch mit seiner makellosen Spielkultur (in zwei „wirklichen“ Live-Aufnahmen in der akustisch höchst empfindsamen Tonhalle) muss man mehr als zufrieden sein.

Christoph Braun, 24.09.2011


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