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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Johann Caspar Kerll

Missa in fletu solatium obsidionis Viennensis u.a.

Johann Rosenmüller Ensemble, Arno Paduch

Christophorus/Note 1 CHR 77 358
(76 Min., 10/2001)

Von Johann Caspar Kerll kennt man heute vorwiegend Orgel-(Lehr-)Werke. Hat der 1627 im vogtländischen Adorf geborene Organistensohn, der ab 1656 fast 20 Jahre lang die musikalischen Geschicke des Münchner Hofs bestimmte, vielleicht auch eine jener im 17. Jahrhundert so beliebten und spektakulären „Battagliae“ geschrieben? Franz Geffels 1688 geschaffenes Gemälde „Die Entsatzschlacht um Wien am 12. Sept.1683“, das die Kerll-Platte des Christophorus-Labels ziert, provoziert jedenfalls die Frage. Doch nein: Nicht lautstarke Pauken und Trompeten, Trombonen und Serpente geben hier die barocke Schlachtmusik, sondern die 1688 publizierte „Missa in fletu solatium obsidionis Viennensis“. Kerll schrieb sie in Wien während der vom osmanischen Minenkrieg, Hunger und Seuchen gezeichneten Schreckensjahre – der Bevölkerung „zum Trost in der Wehklage“. Verheißt der Titel zunächst „nur“ getragene Lamentatio, so vernimmt man alsbald ein höchst außergewöhnliches Kriegs-Zeugnis: Wohl kein zweites geistliches Werk des 17. Jahrhunderts weist ähnlich exzessiv-chromatische Leidensbekundungen auf wie diese „Amen“-Abschnitte in den – ausgerechnet ! – jubilierenden Gloria- und Credo-Messteilen. Auch die mitunter abrupten Dur-Moll-Wechselbäder (auf vokaler wie instrumentaler Seite) zeigen, dass ihr Schöpfer kein gewöhnlicher Mess-Schreiber war.
Arno Paduch führt seine Johann Rosenmüller-Vokalisten und -Instrumentalisten recht rasch durch den dichten Satz, der vom Wechsel figuriert-virtuoser und homophoner Abschnitte lebt. Sinnvollerweise pflegen die sechs Vokalsolisten keinen puren Schönklang in sphärischer Palestrina-Manier; ihr Timbre weist vielmehr auch rauere, wenn man so will: irdene Ecken und Kanten auf, passend zum wahrlich leidvollen Kompositionsanlass. Auch der beigegebene Querschnitt durch Kerlls Schaffen zeigt, angefangen von einer gelehrt-asketischen Orgelpassacaglia über das hochvirtuose Duett „Ama cor meum“ bis zu Vesper-Gesängen der Sammlung „Delectus sacrarum dantionum“ (München 1669): Kerlls Kunst erhebt sich mitunter in Monteverdische Höhen – jedenfalls wenn sie derart elegant und mühelos-virtuos dargeboten wird wie hier. Bleibt nur die Frage, warum man erst jetzt, 11 Jahre nach der Aufnahme, in ihren Genuss kommt.

Christoph Braun, 19.05.2012


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