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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Edward Grieg, Sergei Prokofjew

Klavierkonzert a-Moll, Klavierkonzert Nr. 3 C-Dur

Nikolai Lugansky, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Kent Nagano

Naive/Indigo 983132
(60 Min., 2/2013)

Kent Naganos Ansinnen, ausgerechnet Griegs Klavierkonzert aufzunehmen, diesen B-Seiten-Füller längst angestaubter Klavierplatten, in den Winkel des Repertoires gerückt wie eine pubertäre kleine Sünde, hatte mich überrascht, als ich im Winter sehr gedrängte Aufnahmesitzungen in Berlin miterleben durfte. Das galt auch für die Wahl des Solisten. Was würden sie aus der Aufgabe machen?
Dem Abgenutzten, scheinbar Vertrauten versucht man ja leider allzu oft über gewaltsames „Entdecken“ und „gegen den Strich bürsten“ ein mattes Nachleben einzuhauchen. Aber es geht auch anders.
Als ich dieses behutsam und gelassen durch die Partitur mäandernde Musizieren hörte – unter Hochdruck steht es wirklich nicht –, fiel mir auf, dass ich vieles zum ersten Mal überhaupt wahrnahm und diese so oft achtlos untergefegten Kleinigkeiten wie von innen zu leuchten begannen. Wie schön man das winzige Hornsolo am Ende der Exposition spielen kann, wie seelenvoll die Soloflöte übernimmt und sich dieser Dialog durch die Durchführung fortspinnt! Winzige Splitter, keineswegs bedeutend-strukturtragend, aus denen sich das Werk neu zusammenfügt. Der Solist steht nicht zurück. Auf dem einzigen synkopischen Achtelschlag des Themas steht ein Staccatopünktchen, das sollen wir wahrnehmen, so geht das fort und gipfelt in einer Kadenz, die dem Hörer den Atem verschlagen kann. Als lasse da einer allmählich ein ungeheures Geschmeide durch die Finger fließen, erst einzelne Perlen abtastend in den kaum gediegener zu fassenden langsamen Eingangstakten, und dann werden es Ströme kunstvoll verflochtener Juwelen, aufgefädelt mit einer Kontrolle, die begreiflich macht, warum Lugansky dieses Stück so schwer findet. In diesem Äußersten des pianistisch Realisierbaren erkennt man die Kadenz kaum wieder, die wohl jeder junge Klavierspieler einmal herunterzudonnern versuchte, bis alles dröhnend im Pedalnebel versank. Ich habe Abbitte zu leisten. Früher hielt ich Lugansky für einen korrekten Langweiler. Ach, das waren glückliche Zeiten, als man damit ein vernichtendes Verdikt aussprach. Heute ist es fast eine Tugend. Aber dieses Spiel ist auch nicht langweilig, sondern pianistisch anbetungswürdig.
Noch ein Werk wird gerneralüberholt, das notorisch zerdroschene und gehetzte Klavierkonzert Nr. 3 von Prokofjew. Wer kann, vergleiche einmal mit der viel aufwendiger produzierten Fassung mit Rattle und Lang Lang. Wenn nach dem zynisch vordrängenden Marsch des Finales, den Lugansky wesentlich nachdenklicher angeht als der drauflosbolzende Lang Lang, das tröstliche Dur-Thema des Mittelteils einzieht, enthüllt es sich bei Nagano und seinem alten DSO wie in gelbes Licht getaucht, flirrend und licht dank fantastischer Holzbläser. Die prestigeträchtigeren Philharmoniker pinseln diese Stelle fast grob herunter. So war es in der Ära Nagano nicht selten in Berlin. Gern erinnert man sich daran. Diese auch klangtechnisch herausragende Produktion (in liebgewonnener französischer Arroganz ohne deutschen Booklettext) ist eine Wohltat inmitten all des Gejammers, der klassische Kanon biete nichts „Neues“ mehr. Dabei kennen wir nicht einmal das Alte.

Matthias Kornemann, 07.12.2013


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Kommentare

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ich möchte dem durchaus geschätzten rondo-kritiker herrn kornemann nicht zu nahe treten, wenn ich seine wie immer von hoher philologischer warte aus verfasste bewertung des grieg-konzerts als nobilitierend-verblasen beurteile. so wie er dieses konzert hier als quasi neu entdeckten schatz der klavierkonzert-literatur beschreibt (klangjuwelen konstituierender hornsplitter, quasi lisztomane, atemberaubende kadenz), einen musikalischen schatz, den erst lugansky-nagano (ihm) zu gehör bringen, das kann ich nicht ernst nehmen, ausser als pr-gedöns, so wie die bemerkungen, die vielen andren hätten dieses konzert nur oberflächlich herunter-gedroschen: also bitte, gab es da nicht curzon (resp. lipatti), rubinstein oder fleisher u.a. als noble, allemal seriöse interpreten-? gewiss, lugansky-nagano spielen feinsinnig mit glacéhandschuhen, jedoch, ob dies diesem thematisch folkloristisch schlichten, harmonisch gespreizten und eher rhythmisch pointierten werk guttut, sei zweifelnd dahingestellt. in abwandlung: auch breitgetretener quark bleibt quark. und das ungleich komplexere klavier(schlag)werk des prokovief, neuerdings auch ein konzertreisser (die zuhörer emanzipieren sich), liegt in adäquat differenzierten einspielungen der kapell über argerich bis lang-lang vor, die ich alle durchaus nicht gleichermassen schätze, die jedoch alle der hier essentiellen pianistischen artistik nichts schuldig bleiben. dagegen spielen lugansky-nagano differenziert-gepflegt auf noblesse bedacht sehr klangschön und verfehlen das wesentliche: das rhythmische furioso. (... ich könnte es pianistisch korrekter, aber weniger gut spielen...) allerdings, eine klangtechnisch sehr gelungene aufnahme. gemihaus


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