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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Der in Paris geborene Alfred Bruneau (1857 - 1934) war ein Zeitgenosse von Gabriel Fauré, aber seine Vertonung der lateinischen Totenmesse hat in puncto Stil und Textauswahl nichts zu tun mit derjenigen Faurés bzw. mit der von Fauré vertretenen Requiem-Tradition, zu der auch die Versionen von Ropartz und Duruflé gehören. Während die genannten Komponisten sämtlich auf die Vertonung der damals auch liturgisch noch gebräuchlichen Sequenz „Dies irae, dies illa“ verzichteten – im Falle von Fauré ist evident, dass er die Schreckensszenarien des Jüngsten Gerichts bewusst nicht ins Zentrum stellen wollte –, spielt ebenjene Sequenz bei Bruneau eine zentrale Rolle. Hier fährt er die ganze Fülle musikdramatischer Mittel auf, die man u.a. auch aus romantischen Opern kennt: fürchterlich sich auftürmende orchestrale Klangwogen, in die hinein die Chorsänger quasi mit schreckgeweiteten Augen deklamieren, um dann kurz darauf in ein schreckensstarres Flüstern zurückzufallen. Es wird die gregorianische Melodie der Sequenz zitiert. Ein Kinderchor versinnbildlicht in scharfem Kontrast zu alldem mit zarten Klängen die Vision von einer ganz reinen Seele, die nicht im Flammenmeer der ewigen Verdammnis versinken müsste.
Bruneau komponiert hier wie auch in den anderen Sätzen mit erfahrener Hand ein mitreißendes, fesselndes Szenario; er versteht es, den Kampf zwischen den elysischen Freuden des ewigen Lebens und den unsagbaren Grausamkeiten der Hölle musikalisch äußerst anschaulich zu machen. Insofern ist sein Requiem eine Entdeckung. Dafür steht derzeit indes nur die vorliegende Einspielung zur Verfügung. Sofern die volle Besetzung im Forte zu hören ist, ist das auch kein Problem. Kleiner besetzte oder dynamisch dezentere Passagen hingegen drohen immer wieder zu zerfallen. Im Pianissimo klingt der Chor oft matt und muffig, und das Solistenquartett mit Mireille Delunsch an der Spitze singt teilweise so hausbacken, dass man sich fragt, wie die bekannte Sopranistin sich in diese Gruppe verirren konnte. Insgesamt also eine etwas zwiespältige Erfahrung – aber das Werk sollte man dennoch unbedingt kennenlernen.

Michael Wersin, 14.06.2014


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