Nach Verdis „Otello“, Wagners „Parsifal“ nun Beethoven – surft Deutschlands führender Jazzkontrabassist neurdings auf einer selbstausgelösten Cross-Over-Welle? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Hier wird schlicht im klassischen Jazzklaviertrio auf allerhöchstem Niveau äußerst sensibel und delikat im Idiom des Jazz eine aus intimer Kenntnis der europäischen Tradition geprägte Musik lustvoll gespielt und mitunter auch zelebriert. Wenn Satire alles darf, dann darf der Jazz das schon lange. Doch nichts wird der Lächerlichkeit preisgegeben, vielmeher handelt es sich um eine Liebeserklärung an den klassischsten unserer klassischen Komponisten. Dieter Ilg lässt sich dabei vor allem von Themen aus den großen Klaviersonaten inspirieren.
Typisch etwa das Eröffnungsstück: Das aufjubelnde Thema aus der Sonate Nr. 15, Opus 28, der „Pastorale“, hat sich Ilg als Grundlage eines schwebend groovenden, motivvariierenden Ablaufs anverwandelt – er selber nennt diesen Prozess „Eigensinn, zu eigen machen mit Sinn“. Ilg ist ein großer Storyteller, und nicht nur in seinen bewegenden Soli versteht er es, aus dem Anverwandelten Geschichten mit eigenem Sinn zu machen, sondern auch in den jeweiligen Gesamtabläufen. Der ganz hervorragende Rainer Böhm am Klavier ist ihm dabei ein äußerst kompetenter und beseelter Erzähler. Ein Beethoven-unkundiger Hörer wird – etwa bei den von der „Pathétique“ inspirierten Stücken – wohl klassisches Erbe assoziieren, nicht aber auf den Gedanken kommen, dass es sich um „verjazzte“ Klassik handeln könnte. Das komplex vertrackte und zugleich feingliedrig integrierte Schlagzeug von Patrice Héral tut dazu ein Übriges; in manchen Stücken allerdings, in denen die Themen sehr explizit dargebracht werden, liefert es zuweilen hauptsächlich perkussive Klangschattierungen, die man auch als redundant empfinden darf. Trotz dieser kleinen Einschränkung ist „Mein Beethoven“ ein herrrlich verzauberndes Album mit einer Musik, die einen – um Ilg zu paraphrasieren – unter dem Wind des unverfälschten Jazz auf einen Segeltörn durch die „Weltmeere Beethovens“ mitnimmt.

Thomas Fitterling, 21.03.2015

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