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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Johannes Brahms, Anton Bruckner

Motetten

Tenebrae, Nigel Short

Signum classics/Note 1 SIGCD430
(74 Min., 1/2015)

Man kann sich dem Reiz einer fast vibratolosen Wiedergabe von Brahms- und Bruckner-Motetten eigentlich kaum entziehen: Mit engelhafter Reinheit stehen die wuchtigen Akkordblöcke im Raum, nichts trübt die Wirkung auch komplexerer harmonischer Verbindungen. Was Ensembles wie der Kammerchor Stuttgart schon vor zwanzig oder dreißig Jahren zur Faszination eines damals noch an den Oratorienchor-Klang gewöhnten Publikums eingeführt haben, treibt „Tenebrae“ unter Nigel Short quasi zum Exzess: Vor allem die hohen Frauenstimmen sind quasi brettgerade geführt, und mit einer geradezu ungeheuerlich kleinen Profi-Besetzung von nur vierundzwanzig Frauen und Männern wird ein beinahe orgelhafter Klang erzeugt, humanisiert nur durch den präsentierten Text, perfekt kompatibel freilich zu den gelegentlich hinzukommenden Bläsern und der Orgel.
Zwei Fragen bleiben bei einer solchen auf den ersten „Blick“ zweifellos begeisternden Darbietung offen, eine ästhetische und eine historische: Tendiert der Klang der menschlichen Stimme, wenn er so konsequent jeglicher Schwebung beraubt wird, nicht ein wenig zur Sterilität, gerade vor dem Hintergrund des romantischen Ausdruckspotentials dieser Musik? Und: Hätten Brahms und Bruckner ihre Motetten gern so gehört? Unzweifelhaft hatten ja beide ein Alte-Musik-Ideal im Kopf, als sie geistliche Stücke wie die hier präsentierten schufen. Aber sie hatten keinesfalls diejenigen Interpretationen der Musik Palestrinas und seiner Zeitgenossen im Ohr, die wir heute kennen. Fazit: Was für die „echte“ Renaissance-Musik interpretatorisch korrekt ist (die Darbietung durch ein Profi-Ensemble nach den Maßgaben der zeitgenössischen Quellen), kann für die Musik Brahms‘ und Bruckners nur über einen Umweg legitimiert werden. Somit ist eine Ausführung wie die vorliegende kein historisierender Ansatz, obwohl mit den Errungenschaften und Erkenntnissen einer historisierenden Aufführungspraxis gearbeitet wird. Ein Punkt, über den es sich grundsätzlich nachzudenken lohnt.

Michael Wersin, 28.11.2015


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