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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Siegfried Lauterwasser/DG

Brigitte Fassbaender

Ein jedes Ding hat seine Zeit

Zum 80. Geburtstag der Mezzosopranistin blickt eine neue Jubiläums-Edition auf ihre großen Liedaufnahmen.

Ein runder Geburtstag ist oft Gelegenheit zurückzuschauen und das Leben noch einmal Revue passieren zu lassen. Spricht man mit Brigitte Fassbaender, wird einem jedoch schnell klar, dass hier keine Frau vor einem sitzt, die in der Vergangenheit lebt. Dafür bleibt ihr ohnehin nur wenig Zeit. Folgte dem Bühnenabschied im Jahre 1994 doch eine kaum minder erfolgreiche Karriere als Regisseurin und Intendantin. Kurz vor ihrem 80. Geburtstag steckt sie am Münchner Gärtnerplatztheater mitten in den Proben zu Hans Werner Henzes „Der junge Lord“. Ein Stück, das sie aufgrund seiner komplexen Partitur und des vielschichtigen Librettos von Ingeborg Bachmann als echte Herausforderung bezeichnet. „Aber gerade das hab ich gern.“
Gemeinsam mit den Sängerinnen und Sängern Nuancen freizulegen und Feinheiten im Text aufzustöbern, das sind Qualitäten, die einst auch ihre Liederabende auszeichneten, die bei denen, die sie live erleben durften, noch immer in lebhafter Erinnerung sind. Und so ist es auch kein Wunder, dass gleich neun der elf CDs in der schmucken Jubiläums-Edition nun Fassbaenders reichhaltigem Liedrepertoire gewidmet sind. „Für mich war es einfach künstlerisch das Befriedigendste. Natürlich war ich auch mit Leib und Seele Sängerin auf der Bühne. Aber die größere künstlerische Herausforderung habe ich dann doch immer beim Lied empfunden. Allein schon wegen des geradezu unüberschaubaren Repertoires. In der Oper hat man ja doch sein angestammtes Fach, und die Rollen wiederholen sich. Beim Lied gibt es dagegen große Freiheiten, wie man seine Abende zusammenstellt. Und zu meiner Zeit gab es ja noch viele Liederabende zu bestücken, da habe ich pro Saison zwei neue Programme gelernt.“
Wenn es etwas gibt, das Fassbaender bedauert, dann dass heute nur noch wenige Konzertveranstalter der Kraft des Liedes vertrauen und Recitals oft nur noch als schmückendes Beiwerk im Kalender großer Festivals auftauchen. Obwohl es glücklicherweise auch in der jungen Sängergeneration inzwischen wieder vermehrt positive Beispiele gibt, die neben der prestigeträchtigeren Opernkarriere auch das kleine Format pflegen, ja, sich teilweise sogar ganz darauf spezialisieren. „Man wird heute noch viel mehr in Schubladen gesteckt als früher. Das ist mir zum Glück nicht passiert, weil ich nichts von Scheuklappen halte. Ich habe immer versucht, mein Repertoire so breit gefächert wie möglich zu halten, mit Mozart, Verdi, Strauss und vielen anderen. Am Interessantesten waren dabei aber immer die Rollen, die mich auch schauspielerisch gefordert haben“.

Eine Welt entstehen lassen

Der Wechsel ans Regiepult war da fast schon so etwas wie eine logische Entwicklung, nachdem sie bereits während ihrer aktiven Sängerkarriere den legendären Münchner „Rosenkavalier“ – in dem sie über Jahrzehnte in ihrer Paraderolle als Octavian glänzte – als Spielleiterin aufgefrischt hatte. „Wenn ich eine ‚Winterreise‘ höre, kommen schon immer noch Emotionen hoch, weil es einfach die Krönung dessen war, was ich singen durfte. Aber wirklich bereut habe ich meine Entscheidung nie.“ Kam mit dem Neustart doch ebenfalls die Chance, sich nun auch mit jenen Stücken zu beschäftigen, die im Sängerrepertoire keinen Platz gefunden hatten. „Ich wollte die Stimme so lange wie möglich frisch halten und manches habe ich auch bewusst verweigert. Weil ich wusste, wenn ich eine Ortrud oder Kundry singe, tut das den Liedern nicht gut.“
Unerfüllt gebliebene Traumrollen gibt es trotzdem nur wenige. „Das wären die Fidelio- Leonore und die Tosca gewesen, aber die hätte ich nicht machen können, weil ich nun einmal kein Sopran war. Und von meinem Mezzo-Fach habe ich alles gesungen, was mir Freude gemacht hat.“ Zusätzlich zu einigen Liederzyklen, die man vor ihr eher mit einer Tenor- oder Baritonstimme verbunden hatte. Auffällig ist in der Jubiläums-Edition aber nicht zuletzt die Wahl ihrer Klavierpartner. So hatte sie sich neben dem ausgewiesenen Liedspezialisten Irwin Gage – bei Liszt, Strauss und Schumann – unter anderem auch den sonst eher als Solisten gefeierten Jean-Yves Thibaudet ins Studio geholt. „Das habe ich immer gerne gemacht. Nicht nur mit Thibaudet, sondern auch mit Cyprien Katsaris oder Elisabeth Leonskaja. Das war eine spannende Erfahrung, mit Pianisten zu arbeiten, die eher abstrakt denken, während ein Sänger eine ganz konkrete Welt entstehen lassen muss. Zumindest ging es mir so. Ich musste immer durchleben, was ich da von mir gebe.“ Einen besonderen Platz haben dabei vor allem die Schubert-Interpretationen mit Aribert Reimann am Klavier. „Mit ihm verbindet mich eine lange Freundschaft. Wie Henze ist auch Aribert ein Komponist, dessen Stücke überleben werden. Vieles von ihm hat sich ja schon im Repertoire etabliert. Vor allem aber ist er auch ein wunderbarer Klavierbegleiter, mit dem ich immer gerne gearbeitet habe. Es war mit ihm so selbstverständlich, weil wir keine großen Worte gebraucht haben, um uns klar zu machen, was wir aussagen wollen. Es kam einfach aus uns heraus.“

Neu erschienen:

„Brigitte Fassbaender Edition“ – 11 CDs, Lieder von Schubert, Schumann, Wolf, Liszt, Strauss, Brahms, Mahler, Arien von Mozart, Scarlatti, Verdi, Wagner, Humperdinck, Pfitzner und J. Strauß II,

DG/Universal

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Ein Künstlerinnenleben

„Komm’ aus dem Staunen nicht heraus“. Womit sonst als mit einem Zitat aus dem „Rosenkavalier“ könnte die Autobiografie von Brigitte Fassbaender wohl besser überschrieben werden? Hatte sie doch nicht nur mit dem Octavian eine der wichtigsten Rollen ihrer Karriere gefunden, sondern auch den Ratschlag der Marschallin stets berücksichtigt, mit leichtem Herzen Abschied zu nehmen. Zumindest von der Bühne. In ihren Memoiren, die im Herbst 2019 erscheinen, gewährt die gefeierte Künstlerin in gewohnt ehrlicher Art sowohl unterhaltsame als auch (selbst-)kritische Einblicke in ihr bewegtes Leben als Sängerin, Regisseurin, Intendantin und Gesangspädagogin.

Tobias Hell, 18.05.2019, RONDO Ausgabe 3 / 2019



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