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27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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(c) Monika Rittershaus

Fanfare

Proben, Pleiten und Premieren: Höhepunkte in Oper und Konzert

Eidgenossen sind eigen. Obwohl die Salzburger Festspiele wie auch die Oper Hamburg coronabedingt Premieren von Modest Mussorgskis russischem Musiktheaterschwergewicht „Boris Godunow“ mit dem unberechenbaren und jetzt noch gefährliche Areosole spuckenden Chor als Hauptperson absagen mussten – in der Schweiz fand sie wie geplant statt. Und noch dazu in der Langversion, auf welcher Regisseur Barrie Kosky bestand. Also inklusive des fast schon anrüchigen Polen-Aktes. Deshalb saßen eng gepferchte 900 Besucher mit Maske im intimen Opernhaus Zürich. Weil nämlich Chor und Orchester unter Wahrung der Abstandsregeln im einen Kilometer entfernten Probensaal Platz genommen hatten und per Glasfaserkabel mit Lichtgeschwindigkeit akustisch eingespeist wurden. So begann ein einzigartiges, in der Opernwelt noch nie dagewesenes Karaoke de luxe. Das freilich, der wackere Dirigent Kirill Karabits konnte nichts dafür, zwar akustisch synchron, aber doch ziemlich blechern ablief, mit zu lauten Streichern, aus dem Irgendwo plärrenden Choristen und oft undifferenziert blökenden Sängern. Und auch Kosky machte in seiner graustichigen, von wenigen Goldtupfern erhellten Routine-Inszenierung nicht klar, warum der Chor fehlte. Gut, hier sangen zunächst die Bücher als Muppet Show zwischen staubigen Stellagen, aber später wurde der falsche Dimitri (ganz laut: Edgaras Montvidas) sehr klischiert von der polnischen Magnaten-Schickse Marina (Oksana Volkova) und einer effeminierten Jesuitenkarikatur (Johannes Martin Kränzle) verführt. Und Michael Volle war mit schlankem Bassbariton als sich faszinierend steigernder Rollendebütant unauffällig ins Panorama gestolpert. Schließlich schlägt der Gottesnarr final die Glocke, mit einem blutigen Menschen als Klöppel. Vom Zürichsee an die Spree. Da feiert in der Lindenoper die Berliner Staatskapelle ihren 450. Geburtstag. Das sah sich fies an: Jeder fünfte Platz nur besetzt; dazwischen gespannte Bänder, auf denen werbewitzig die Staatskapelle und ihre Feier vermerkt ist; Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier außen und einsam in die erste Reihe gequetscht. Es hörte sich leider, selbst im zweiten Rang, auch problematisch an. Die so gar nicht verbesserte Akustik nach dem aufwendigen Umbau ist suboptimal, wenn da keine Menschen als Resonanzkörper sitzen. Alles klingt laut, grell, schepprig. Sieben Prozent dieser 450, als Kurbrandenburgische Hofkapelle begonnenen Jahre steht Daniel Barenboim dem von ihm aufpolierten Orchester vor. 70. Bühnenjubiläum feierte er diese Saison zudem. Gar nicht methusalemhaft laut lärmte er sich durch das „Meistersinger“-Vorspiel, robust war der Zuschnitt von Jörg Widmanns frisch komponierter Festgabe „450“, genauso viele Takte lang und schnell durch die Jahrhunderte mäandernd. Als Hauptgang Beethovens 7. Sinfonie. Der Viersätzer rollte als reine Verrichtung durch den Saal. Nicht schlecht, mit schön gefederten Übergängen, einem vollmundig ausgehörten Scherzo. Aber ohne jede Deutungsabsicht, wenig inspiriert. Und von der Akustik versaut. Da machte die Staatsoper Hannover mehr Spaß. Denn dort berührte ein schnell ins Programm genommenes Händel-Frühwerk als emotional Achterbahn fahrender Corona-Diskurs: „Trionfo. Vier letzte Nächte“, so nannte sich das etwas umgestellte, mit ein paar Zwischentexten versehene Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“. Regisseurin Elisabeth Stöppler verwandelte es, sogar mit zusätzlichem Chor von draußen und Orchester auf der Bühne, mit nur vier auf Abstand bleibenden Solisten zu einem packenden, zeitgeistig passgenauen Diskursversuch über Vereinsamung und Empathie, über zusammenbrechende Lebensentwürfe und Neuanfänge.

Matthias Siehler, 24.10.2020, RONDO Ausgabe 5 / 2020



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