home

N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Mark Allan

London Symphony Orchestra

Mambo, Blues und Fugen

Auf seinem neuen Album „Nazareno“ zeigt sich das LSO unter Sir Simon Rattle mit dem Klavierduo Labèque von seiner jazzigen Seite.

Es ist kein Geheimnis, dass Sir Simon Rattle ein großer Jazzfan ist. Als der britische Maestro noch Chef der Berliner Philharmoniker war, brachte er so manches Projekt mit einem gehörigen Anteil Swing und Blues zur Aufführung. Auch als Chefdirigent des London Symphony Orchestra lebt er seine Jazzbegeisterung weiter aus. So hat er nun unter dem orchestereigenen Label LSO Live ein Album mit Werken veröffentlicht, die eine gelungene Melange aus Jazz und Klassik bieten.
Als Eröffnungsstück wählte er Leonard Bernsteins „Prelude, Fugue and Riffs“. Dabei handelt es sich um eine ausgeschriebene Jazz-in-Concert-Hall-Komposition, die von Bernstein für ein Jazz-Ensemble mit Solo-Klarinette verfasst wurde. Dass das Werk keine reine Jazznummer ist, offenbart bereits sein Titel: Präludium und Fuge ist ein barockes Satzpaar aus der Bach-Tradition, ein Riff hingegen ein kurzes melodisch oder rhythmisch prägnantes Motiv, das ostinat wiederholt wird. Auch Igor Strawinskis „Ebony Concerto“ ist eine vom Jazz geprägte Komposition für Solo-Klarinette, allerdings wirkt hier eine Big Band als Begleitensemble. Es wurde für keinen geringeren als Woody Herman geschrieben, dabei war das Ebenholz seiner Klarinette namensgebend. Im ersten Satz präsentiert sich das Soloinstrument in Evergreen-Manier, ihr Solo hebt sich vom Chorus der andern ab. Auch die übrigen zwei Sätze, ein Blues und Variationen, beruhen auf Chorus-Solo-Wechseln. In „Nazareno“, dem dritten Werk des Albums, hat der venezolanische Perkussionist Gonzalo Grau Themen aus der „Markuspassion“ des argentinischen Komponisten Osvaldo Golijov (*1960) verarbeitet und für zwei Pianisten und Orchester arrangiert.
Als Solisten für „Nazareno“ konnte Rattle das renommierte Klavierduo Katia und Marielle Labèque gewinnen, das sich auch mit jazzigen Werken einen Namen gemacht hat; so nahmen die französischen Schwestern etwa ein vielbeachtetes Album mit George Gershwins „Rhapsody in Blue“ auf. Auch mit den Latino-Rhythmen von Golijov kommen die beiden bestens zurecht, geradezu einen hypnotischen Sog entwickeln der Ostinato-Rhythmus des ersten Satzes, und die elektrisierten kubanischen Rhythmen des dritten Satzes „Guaracha y Mambo“ lassen einen vom Sessel aufzuspringen, um das Tanzbein zu schwingen. Urplötzlich scheint sich das LSO da in eine Straßenkarnevalsband verwandelt zu haben, wozu die hervorragenden Gast-Perkussionisten Gonzalo Grau und Raphaël Séguinier entscheidend beitragen. Auch in den anderen Stücken können die Londoner punkten. Druckvoll und brillant wie eine Südstaaten-Brassband präsentieren sich die Blechbläser in Bernsteins „Prelude“, klanglich gut ausbalanciert mit den Saxofonen und auf den Punkt phrasierend in Strawinskis „Ebony concerto“. Ebenfalls einen hervorragenden Job im Strawinski-Konzert macht Chris Richards, seines Zeichens Soloklarinettist des LSO, der mit wunderbar leichtem Ton keck durch den Solopart wirbelt. Kurzum: Ein in seiner Intensität unmittelbar anspringendes Jazzalbum von einem der großen europäischen Orchester.

Neu erschienen:

Bernstein, Gershwin, Golijov

„Nazareno“

mit Katia und Marielle Labèque, London Symphony Orchestra, Rattle

LSO/Note 1

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Mario-Felix Vogt, 21.05.2022, RONDO Ausgabe 3 / 2022



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Zeitgemäßes Handyklangdesign

Vor einigen Jahren hatte schon der Leiter der Wiener Taschenoper versucht, etwas Niveau in die Welt […]
zum Artikel

Pasticcio

Noch nicht ganz abgewickelt

Gerade ist der Spielplan der Oper Wuppertal für die kommende Spielzeit ins Haus geflattert. Fünf […]
zum Artikel

Gefragt

BR-Symphonieorchester

Logistischer Feuerzauber

Das „Ring“-Projekt des BR-Symphonieorchesters geht mit dem Live-Mitschnitt der „Walküre“ […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das Klavierquartett c-Moll des 19-jährigen Strauss war ein Geniestreich, der sofort als solcher erkannt wurde. Komponiert 1883/84, zwischen der ersten Sinfonie und der „Burleske“ für Klavier und Orchester, gilt es als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Brahms und den Formen der klassisch-romantischen Instrumentalmusik.

Aus einer viel späteren Schaffensphase, nämlich den letzten Kriegsmonaten 1945, stammen die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“. Zu jener Zeit arbeitete […] mehr


Abo

Top