Startseite · Medien · Unterm Strich
Mozarts Requiem entstand im Auftrag eines Aristokraten. Dass er es für sich selbst bestimmt haben soll, in Vorahnung seines nahen Todes, war eines der ersten Gerüchte, die aufkamen, ein Rattenschwanz an romantischen Legenden schloss sich dem an. Seriös befasst sich mit der Tradition der Totenmessen dagegen Hervé Niquet, nicht erst seit gestern: Er hat mit seinem Concert Spirituel unter anderem spektakuläre Ersteinspielungen der Requiems von Jean-Paul-Égide Martini (für Ludwig XVI.) und von Charles-Henri Plantade (für MarieAntoinette) vorgelegt. Jetzt kombinierte er das Requiem von Antonio Salieri direkt mit dem Mozartschen (in der Süßmayr-Fassung) – um aufzuklären, aber wohl auch, um Klischees aus dem Weg zu räumen (Château de Versailles/Note 1). Staunenswert, zu hören, wie viele Gemeinsamkeiten es gibt! Salieri, fünf Jahre älter als Mozart, kannte offenbar dessen Werk, aber er geht eigene Wege. Die Tradition haben beide in Demut bedient, daneben fallen individuelle Züge opernhafter Dramatik auf, hier wie dort. Mozarts Melodieerfindung ist der Salieris überlegen. Salieri vernachlässigt die Solisten, aber er liebt wuchtig-theatralische Chorsätze. Er schrieb dieses Requiem erst 1804, kurz nach seiner Demission als Hofkomponist, quasi als freier Mann, aus freien Stücken: Und bestimmte es, als erster bürgerlicher Komponist, ausdrücklich für sich selbst.
Die Geigerin Tomoko Mayeda hat drei Mozartsche Sonaten aufgenommen, im Playback-Verfahren mit der Pianistin Tomoko Mayeda. (Gramola/Naxos) Begründung für das Doppelte-Lottchen-Spiel: Mozart sei ihr Lieblingskomponist, seine Violinsonaten mit sich selbst zu spielen, ein Lebenstraum. Möglich ist das. Schön ist es nicht. Mayeda surft durch alle drei mal drei Sätze, schnell-langsam-schnell, glatt und nett. Jedes Ausdrucksmoment gibt es doppelt, ob Melodie- oder Begleitfunktion, egal. Mit musikalischem Diskurs hat die Mimikry dieser gleichberechtigt geführten, nebeneinander einher laufenden Instrumentalstimmen nichts zu tun.
Gramola/Naxos
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Wie das Schlagzeug, so hat sich auch die Blockflöte im vorigen Jahrhundert ganz neue Klangwelten erobert – und ihren alten Ruf gründlich revidiert. Es gibt heute Blockflöten-Consorts, die einen orgelartigen Mischklang kultivieren und blitzsauber spielen, ohne Silberblick. Consort-Musik nämlich sei, so sagt es der preisgekrönte junge Blockflötist Max Volbers, die „Königsdisziplin“ dieses Instruments: „Weil es so lange dauert, bis es überhaupt intonatorisch stimmt, bis man wirklich wie aus einem Guss spielt.“ Mit seinem Debutalbum „Whispers of Tradition“ (Genuin/Note 1) offeriert Volbers einen Musterbogen an historisch beglaubigten, frei weiter entwickelten Musiziermöglichkeiten. Er bearbeitet Bach, er rekonstruiert Vivaldi, improvisiert über Palestrina und präsentiert mittendrin ein aktuelles Auftragswerk von Thanos Sakellaridis für zwei dunkelblubbernde Paetzold-Flöten. Für die Konzert- bzw. Consortstücke hat sich Volbers gleichgesinnte Kollegen eingeladen, solo liefert er zirkusreife Virtuosenkunst ab. Wie lustvoll sein Legatospiel in den Purcell-Variationen sich ins Glissando verwandelt, mit allen Zwischenstufen, das ist höchste Meisterschaft.
Genuin/Note 1
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Mit „Runner“ baute sich Steve Reich vor acht Jahren einen klappsymmetrischen Erinnerungsaltar. Fünfzig Jahre Minimal Music! Damals war er 78 Jahre alt. In dem Stück fließt die pure Energie. Uraufgeführt als Ballettmusik im Auftrag von Covent Garden, ist es bogenförmig geschlossen: mit tickenden Sechzehnteln außen, synkopisch akzentuierten Achteln im zweiten und vierten Satz sowie einem von Glockenklang inspirierten Mittelstück, in Vierteln. Das Ensemble Modern hatte das retrospektive Prunkstück in Amsterdam und anderswo mit Erfolg aufgeführt. In Sachen CD-Einspielung kommt ihm nun Susanna Mälkki mit den LA Philharmonic brillant zuvor. Sie kombiniert „Runner“ mit dem zwei Jahre später entstandenen, üppiger instrumentierten Zwillingsstück „Music for Ensemble and Orchestra“ (Nonesuch/Warner). Dieselbe Form, andere Farben, neue Energien. Unverkennbar: Reich.
Nonesuch/Warner
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Eleonore Büning, 03.12.2022, RONDO Ausgabe 6 / 2022
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Die „Études-Tableaux“ op. 39 von Rachmaninow sind bekannt für ihre düstere Atmosphäre und gelten als eine der modernsten Kompositionen des Komponisten. Entstanden sind sie im Jahr 1917 kurz vor seiner Flucht in die USA, aufgrund ihrer virtuosen Schwierigkeiten stellen sie eine Herausforderung für jeden Pianisten dar. Nikolai Obuchows „Six Tableaux psychologiques“ von 1915 wiederum zeigen Einflüsse von Alexander Skrjabin und präsentieren sich als komplexe und vielschichtige […] mehr