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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Christiane Setz/Vorarlberg Tourismus

Musikstadt

Bregenz

Wenn man die Hauptstadt Vorarlbergs erst mal erreicht hat, kann man durchatmen. Hier gibt es entspannte Natur zu genießen – und logistisch durchgeplante Klassik auf der größten Seebühne der Welt.

Kommt man von Deutschland nach Bregenz, dann präsentiert sich die Vorarlberger Landeshauptstadt, die immer Mitte Juli im Zentrum des europäischen Musikfestspielgeschehens steht, eher abweisend. An den Hang des Pfänders geklebt, vom Bodensee eingequetscht, kommt man entweder über die meist staubeladene Bundesstraße von Lindau her am Ufer entlang wie durch ein Straßenstädtchen der Fünfzigerjahre, fährt am Bahnhof vorbei, denn auch die Eisenbahn fährt direkt am See entlang, und an Industrie – und ist schon wieder draußen. Die Einfahrt über die Autobahn ist nicht viel schöner, nach dem Pfändertunneldunkel geht es über Straßen auf Betonstelzen nach unten – und auch dann ist alles eng und unübersichtlich.
Nein, autogerecht ist Bregenz nicht, und seine spröde Schönheit offenbart es erst auf den zweiten, etwas langsameren Blick. Aber per pedes lässt sich doch Einiges entdecken. 29 000 Einwohner hat die Stadt. Der Ortsname wird auf keltisch oder ligurisch „brigant“ – „herausragend“ zurückgeführt. Die ersten Siedlungen im Gebiet des heutigen Bregenz entstanden etwa 1500 v. Chr. Im Jahre 15 v. Chr. eroberten die Römer das Vorarlberger Gebiet und errichteten Brigantium (benannt nach dem lokalen Keltenstamm) – eine römische Zivilstadt mit Forum, Tempelbezirk, Markthallen, Basilika. Hier hatte der Präfekt der Bodenseeflotte seinen Sitz.
Wohl 259/260 n. Chr. wurde Brigantium durch Alamannen zerstört, von der römisch-keltischen Bevölkerung aber wiederaufgebaut; die von Natur aus besser geschützte Oberstadt wurde kastellartig befestigt. Dort liegt auch bis heute die eigentlich enge, von einem mumifizierten Krokodil am Stadttor bewachte Altstadt innerhalb der Mauern aus dem 13.-16. Jahrhundert.
Nach Aussterben des bedeutendsten Hochadelsgeschlechts des Bodenseeraums, des Bregenzer Zweiges der Grafen von Montfort, wurde der Ort 1523 Teil von Vorderösterreich im Erzherzogtum Österreich. 1652 wurde in Bregenz der Kornmarkt gegründet. Heute ist er als „Kulturmeile“ der schönste Platz der Unterstadt, das Theater, das sehenswerte Vorarlberg Museum und der futuristische, nach außen mit seiner milchigen Glasfassade so abweisende Bau des seit 1997 überregional wahrgenommenen Kunsthauses von Peter Zumthor sind dort zu finden.
Im Jahre 1805 kam Bregenz zum Königreich Bayern. Erst unter dem Eindruck des Wiener Kongresses verzichteten die Wittelsbacher 1814 auf Vorderösterreich und Tirol zugunsten des Habsburgischen Kaiserreichs Österreich. Am 29. April 1945 überschritten französische Truppen die Grenze des seit 1938 zur „Ostmark“ des Deutschen Nazireiches gehörenden Vorarlberg, und am 1. Mai erfolgte die Eroberung von Bregenz; wobei die Stadt teilweise zerstört wurde.
Sommerfrische, fast wie früher
So hat man die meistenteils moderne Unterstadt heute schnell durchschritten und kann sich dem Bodensee zuwenden. Am schönsten ist Bregenz im Sommer nämlich am Molo, dem kürzlich neugestalteten Seehafen, wo man im südlichen Sonnenuntergangslicht zur Silhouette von Lindaus Türmen blickend die herrlich begrünte Promenade entlangschlendern kann, bis zum Festspielhaus und dem dahinterliegenden Casino. An einem weißen Holzpavillon im Wasser lässt es sich herrlich bei Lillet oder Spritz die Zeit verplempern, auch das Wirtshaus am See lädt mit guter Österreichischer Küche zum Verweilen ein. Sommerfrische, fast wie früher, wenn man dann auch noch den nostalgischen Milchpilz am Bahnübergang erblickt.
Sehenswert ist zudem in der Nähe die Territorialabtei Wettingen-Mehrerau.
Prunkstück des Zisterzienserklosters ist die alte Bibliothek. Auch Kelche, Messgewänder, Altarbilder und andere Schätze aus dem Besitz der Mönche gibt es zu sehen.
Neben dem Landestheater, das freilich keine Musiksparte hat, aber einmal im Jahr Oper spielt, gibt es auch das Symphonieorchester Vorarlberg, wo der Vater von Kirill Petrenko (er zog als 18-Jähriger hierher) lange Geige spielte. Der Sohn erarbeitete sich mit diesem Klangkörper in einem jahrelangen Zyklus alle Mahler-Sinfonien. Und cleverer Weise ist das Festspielhaus unter der Riesentribüne für die Freiluftopern ja auch Kongresshaus. Dort gibt es seit 35 Jahren den Bregenzer Frühling mit seiner Tanzfestivalsaison von März bis Juni. Das Bregenzer Jazz Festival findet seit 2014 jedes Jahr im Juni am Kornmarktplatz statt.

Im Sommer kommen dann aber die Massen (die meist anderswo im Rheintal wohnen oder gleich wieder per Bus heimfahren) der Bregenzer Festspiele wegen. Mit einem Budget von rund 20 Millionen Euro lockten sie 2022 etwa 237 000 Besucher an, rund 172 000 Menschen sahen Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ als Spiel auf dem See. Das Stück wechselt alle zwei Jahre, außerdem werden Orchesterkonzerte und weitere Opern im angrenzenden Festspielhaus gespielt. Mit crossculture gibt es während und vor dem Beginn der Festspiele auch ein Kinder- und Jugendprogramm.
Die Bühne ist mit einer Zuschauerkapazität von etwa 7000 die größte Seebühne der Welt. 1946 begannen die Bregenzer Festspiele mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Bastien und Bastienne“ noch auf zwei Kieskähnen im Wasser. Vier Jahre später entstand die immer weiter ausgebaute Seebühne, auf welcher zunächst viel Operette und seit Alfred Wopmanns Intendanz ab Mitte der Achtzigerjahre Oper als anspruchsvolles Massen-Musiktheater-Event alle zwei Sommer höchst erfolgreich neu erfunden wurde. Im Mai 2008 wurde das spektakuläre „Tosca“-Bühnenauge sogar für zehn Tage zum Schauplatz des James-Bond-Streifens „Ein Quantum Trost“.
Draußen Masse, innen rare Klassen. Denn auch im seit 40 Jahren das Tribünenfundament bildenden Festspielhaus gilt eine besondere Bregenzer Dramaturgie – mit möglichst ausgefallen Opern, für die Kenner von weither anreisen, gerne in italienischer Sprache, seien es Belcanto-Seltenheiten oder Verismo-Perlen. Dieses Jahr gehen die Festspiele vom 19. Juli bis zum 20. August. Im Hauptprogramm sind noch einmal die „Butterfly“ und indoor Giuseppe Verdis „Ernani“ zu sehen.

Weitere Infos und Tickets:
www.bregenzerfestspiele.com

Manuel Brug, 03.06.2023, RONDO Ausgabe 3 / 2023



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