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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Felix Broede

Blind gehört – Andre Schoch

„Wie man sich bläserisch pflegt, so klingt man“

Bingo! Andre Schoch, Trompeter der Berliner Philharmoniker und auch solistisch unterwegs, errät alles. 1987 in Pfinzweiler geboren (zwischen Pforzheim und Karlsruhe), ist seit 2017 Trompeter bei den Berliner Philharmonikern. Zuvor war er Solo-Trompeter im Orchester der ­Deutschen Oper Berlin und der Hamburgischen Staatsoper. Er meint, dass man Trompeter an bestimmten „Eigenheiten“, am Klang, an der Artikulation und am Vibrato erkennen kann. Der berühmte Maurice André etwa, so Schoch, habe eher so „von unten intoniert“. Die Wette gilt!

Das Hummel-Konzert, das ist Standard. Da möchte ich ein wenig Feuer hören, und das höre ich auch. Sehr prägnante Artikulation, ziemlich schnelles Vibrato. Ich würd’s anders spielen, aber das ist eine Geschmacksfrage. Vielleicht sogar eine Frage der Mode. Die Intonation ist nicht ganz astrein, übrigens. Die Aufnahme, muss ich sagen, kenne ich nicht. Sie hat Charme. Und daher bin ich mir ziemlich sicher, dass Maurice André dahintersteckt. Man würde es heute nicht mehr so machen. So charaktervoll spielt man nicht mehr. Man ist mehr erpicht auf Sauberkeit und Perfektion. Ich schätze, dies muss die Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern sein. Die vielleicht berühmteste, kommerziell erfolgreichste Trompeten-CD überhaupt. Bei uns zu Hause hat sie gefehlt, ausgerechnet. Aber die muss es sein.

Johann Nepomuk Hummel

Trompetenkonzert

Maurice André, Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan

1974, Warner

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Das Trompetenkonzert von Alexander Arutiunian. Das spielt man oftmals als Student. Ich glaube, das hier ist Sergei Nakariakov. Ich erkenne das an der Virtuosität. Und wiederum am Vibrato. Es ist ein russisches, sehr intensives Vibrato, wenn auch nicht so ausladend wie bei dem noch berühmteren Timofei Dokschizer. Da ist es noch größer, in Bezug auf die Amplitude, also ‚das Ausschlagen der Welle‘, wenn man den Ton aufzeichnen würde. Hier, bei Nakariakov, ist es feiner, vielleicht sogar kultivierter als bei Dokschizer, obwohl ich den sehr liebe. Nakariakov besitzt einfach eine unglaubliche Technik und Virtuosität. Das Werk ist dankbar. Und ziemlich elegisch, es entstand 1950. Die Chancen, dass man es mal im Konzert erlebt, halte ich für gering.

Alexander Arutiunian

Trompetenkonzert

Sergei Nakariakov, Jenaer Philharmonie, Andrei Wiktorowitsch Boreiko

2001, Teldec/Warner

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Das Stück ist mir unbekannt. Vibrato und Artikulation kommen mir skandinavisch vor. Tine Thing Helseth hat so ein schnelles, leichtes Vibrato. Sehr klare Artikulation. Der Ton ist eher hell, sehr schlank. Es ist ein ‚zeichnender‘ Ton. Wie stellt man eigentlich ein Vibrato her? Die einen machen es über die Luft, die anderen mit dem Unterkiefer. Der bewegt sich dann ganz leicht hoch und runter. Diese Art ist besser zu kontrollieren. Ich mache es auch so. Über den Luftstrom dagegen kann sich ein Dauer­vibrato einschleichen, wenn man nicht aufpasst. Es gibt auch noch das sogenannte „Handvi­brato“. Das ist bei den deutschen Trompeten, die im Orchester verwendet werden, nicht ganz so gut ausführbar wie bei den amerikanischen.

Sergei Rachmaninow

„Zdes’ khorosho“ (How Fair This Spot)

Tine Thing Helseth, Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, Eivind Aadland

2011, Warner

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Sehr gut gespielt. Man merkt, dass die Aufnahme vor der historischen Aufführungspraxis entstand. Es ist ‚sehr gerade‘ phrasiert. Die Sechzehntel oder Achtel fallen alle ziemlich gleich aus: sehr regelmäßig. Mir fehlt ein bisschen Fantasie dabei. Ich kann nicht unmittelbar sagen, wer das ist. Ludwig Güttler vielleicht? Wenn es ein Amerikaner sein sollte, dann wäre es klarerweise Wynton Marsalis. – Er ist es? Krass. Anhand des Vibratos hätte ich früher draufkommen können. Es ist etwas zu gleichförmig. Ich verehre Marsalis sehr, vor allem als Jazzer. Nur sollte man das Vibrato für bestimmte Ausdrucksfälle einsetzen, hier aber ist es immer da. Merkwürdig, im Jazz spielt er viel ungleichmäßiger. Trompeterisch jedenfalls lupenrein.

Henry Purcell

Trumpet Overture, aus: „The Indian Queen“

Wynton Marsalis, English Chamber Orchestra, Raymond Leppard

1983, CBS/Sony

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Das Vivaldi-Konzert für zwei Trompeten. Ich bin mir ziemlich sicher, das ist mein Lehrer Reinhold Friedrich. Mit Håkan Hardenberger. Ich finde die Aufnahme deswegen toll, weil die beiden wirklich zusammengefunden haben. Sie bilden fast einen Stil. Und hatten auch eine lange, gemeinsame Vergangenheit. Ich war Jungstudent bei Reinhold Friedrich. Das ist schon eine ganze Weile her. Wo beim Trompeter das ‚kritische‘ Alter einsetzt, das übrigens entscheidet der Zahnarzt. Zähne sind wichtig. Ansonsten: Wie man sich ‚bläserisch‘ pflegt, so klingt man. Ähnlich wie bei Sängern. Das Lungenvolumen muss ausreichen. Und wenn die Mund-Muskulatur erschlafft, ist es auch nicht gut. Trompete ist eine virtuose Zungensache. Es gibt übrigens viele Raucher in unserem Beruf. Ich allerdings nicht. Trompeter sind gesellig. Zum Schlagwerk haben alle Blechbläser ein gutes Verhältnis. Wir sind Nachbarn.

Antonio Vivaldi

Konzert für 2 Trompeten C-Dur, RV 537

Håkan Hardenberger, Reinhold Friedrich, I Musici

1993, Philips/Universal

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Das ist jetzt Joseph Haydn. Könnten Sie das ein bisschen lauter machen? Gefällt mir gut, es ist, glaube ich, Gábor Tarkövi. Also mit den Bambergern, unter Karl-Heinz Steffens. Eine sehr klare, deutliche Artikulation. Tarkövi klingt dunkler als viele andere Solisten. Ein großer Klang, man hört die Herkunft aus dem Orchester, wo man gern mit größerem, breitem Klang spielt. Wir Bläser versuchen uns in den Streicherklang einzufügen. Bei den Berliner Philharmonikern haben wir es mit zwei sehr starken Streicher-Fraktionen zu tun, den Geigen auf der einen Seite und den berühmten Kontrabässen auf der anderen. Die Streicher mögen sogar jetzt, unter Kirill Petrenko, noch wichtiger geworden sein als sie es vorher, unter Simon Rattle, waren. Die anstrengendsten Sachen für uns Trompeter sind im Orchester einige Werke von Richard Strauss, etwa die „Alpensinfonie“ oder „Die Frau ohne Schatten“. Bruckner ebenso. Auch Schostakowitsch ist oft sehr fordernd.

Joseph Haydn

Trompetenkonzert Es-Dur, Hob. VIIe:1

Gábor Tarkövi, Bamberger Symphoniker, Karl-Heinz Steffens

2009, Tudor/Naxos

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Gut gefällt mir das. Ein feines, schnelles Vibrato. Ähnlich wie bei Tine Thing. Alison Balsom könnte das sein. Der Einsatz klingt so, als wolle sie den Klang straight entwickeln. Man könnte das weicher spielen. Ich muss sagen, dass ich vor allen Kollegen, die wir hier hören, großen Respekt habe. Dass jeder seine Eigenheiten hat, finde ich gerade richtig. Außerdem sind Trompeter eher umgänglich. Wir sind down to earth. Das liegt teilweise daran, dass viele von uns durch die Blaskapelle zum Instrument gekommen sind. Ich auch. Meine Musikschule war angeschlossen an einen Musikverein. In Spanien gibt’s Bandas, in Holland Brass Bands. Übrigens immer weniger ... Die meisten Solisten, die man heute kennt, haben nebenher eine Professur. Erst Maurice André hat das Instrument ‚durchgesetzt‘. Durch Ausstrahlung nicht zuletzt. Er war anfangs Bergarbeiter. Ein Wahnsinns-Klang, sehr markant. Es gibt Sachen, die sind noch immer unerreicht.

Erik Satie

Gymnopédie Nr. 3

Alison Balsom, The Guy Barker Orchestra

2014, Warner

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Das Fagott, das hier könnte eigentlich Stefan Schweigert sein. Dann wäre es Petrenkos Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern. Ich muss dabei gewesen sein. Bin damals coronabedingt eingesprungen. Das da, im 3. Satz, bin ich. Schon seltsam, sich selbst zu hören. Die Empfindung ist eine ganz andere als bei der Aufführung. Man findet immer, man könnte es besser machen. Perfektion allein, worauf Petrenko großen Wert legt, macht die Sache freilich nicht interessant. Hier ist es die Messerschärfe, die den Ausschlag gibt. Und das Gegenteil davon: die Freiheit, die Petrenko im Konzert zu geben vermag. Das Fagott-Solo, das wir vorhin hörten, ist ein Ausdruck davon. Petrenko hat das toll gemacht.

Dmitri Schostakowitsch

Sinfonie Nr. 9, 4. Satz

Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko

2020, Berliner Philharmoniker Recordings

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Erscheint am 17. November:

Leopold Mozart, Michael Haydn, Johann Wilhelm Hertel, Johann Melchior Molter, Georg Philipp Telemann

„Core“ – Trompetenkonzerte

Andre Schoch, Stuttgarter Kammerorchester

Es-Dur/Naxos

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Kai Luehrs-Kaiser, 28.10.2023, RONDO Ausgabe 5 / 2023



Kommentare

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Gabriele
Hallo noch mal aus Berlin! Ganz großartige Show , das mal anders Kennenlernen der Aufnahme und des ' Blindhörenden' und Musik ausübenden Künstlers! Was für eine lebendige und Augen einnehmende Lesart entsteht hier so in einem Printmedium, finden wir ! Anders unterhaltsam spannend und doch wieder mit einem anderen Zugang natürlich als Radio bietet der RBB im Kulturradio an jedem ersten Freitag im Monat um 20.03Uhr seit Jahren mit 3 'Musikkritikussen' und einem Moderator in der Reihe 'Blindverkostung' als heiteres Interpret*innen Raten mit großem Erfolg! Aber dort geht es um die Nuancen im Wahrnehmen von ausgewählten Teilen zu einem Werk und als heiteres Rateformat, ist wunderbar vergnüglich und sehr beliebt! Die Beteiligten kennen das Werk vorher , 'nur' die Interpretation wird von den Dreien gemeinsam heraus gearbeitet und irgendwann von einem oder mehreren oder allen erkannt. Also ein fesselndes Format, dass da entwickelt wurde und weiter uns Zuhörende fesselt. Darum ganz spannend, dass hier in der Umkehrung für den Kritiker Kai Luehrs - Kaiser, der sonst im Rateteam beim 'Blindverkosten' glänzen kann, er hier einen originellen, anregenden Spaß zur Information, neben den auch sonst interessanten Interviews, kreativ einbringt ! Wunderbare Idee! Man spürt auch das Vergnügen des Musizierenden und seine originellen Zugänge überraschen auch, einfach eine tolle Idee und eine gelungene ' Blindverkostung' eben! Vielleicht bis bald mal wieder? Bis dahin herzlichen Dank aus Berlinerinnen Sicht!


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