home

N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Da Capo

(c) Jaro Suffner

Da Capo

Berlin, Komische Oper – Hans Werner Henze: „Das Floß der Medusa“

Theaterzauber im Planschbad

Hans Werner Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“ sorgte 1968 für einen der größten Opernskandale in Deutschland. Das lag nicht an den finalen „Hồ Chí Minh“-Rufen in der Partitur. Die Aufführung wurde nicht deswegen verhindert, weil sie zu links gewesen wäre. Sondern weil sie den APO-Demonstrierenden nicht links genug erschien. Der „Spiegel“ hatte aufgewiegelt. Sonderlich viel geht uns das alles heute nicht mehr an. Außer: Es sind Fälle bekannt, wo Besucher als bekehrte Sozialisten aus dem Werk wieder herauskamen.
Wenn die Komische Oper Berlin, die ihr Stammhaus auf Jahre verlassen hat, ausgerechnet jetzt Henzes pamphlethafte Geschichte über politischen Verrat wählt, so geschieht dies … um des Events willen. Alle Vorstellungen im Hangar 1 des Flughafens Tempelhof sind im Voraus ausverkauft. Regisseur Tobias Kratzer, wie gewohnt kein Kind von Traurigkeit, stellt das titelgebende Gemälde von Théodore Géricault als lebendes Bild nach. Inmitten einer riesigen Wasserfläche, welche zwei Groß-Tribünen voneinander trennt, schippert das Floß einher. Hier kann nach Herzenslust geplanscht, gebadet und ein Schlauchboot ebenso wie Luftmatratzen zu Wasser gelassen werden. Nach 70 Minuten läuft sogar Jesus übers Wasser. Man hat viel zu schauen. Und zu staunen auch.
Günter Papendell als Protagonist Jean-Charles bringt seinen graffitglänzenden Bariton fulminant zum Einsatz. Gloria Rehm gibt Madame La Mort. Die Akustik in der Riesenhalle ist erstaunlich gut, so dass Dirigent Titus Engel die musikalische Botschaft gut rüberbringt. Am Ende wanken die wenigen Überlebenden der Schiffskatastrophe wie Zombies über die Rollbahn von Tempelhof – durchs Schiebetor aus dem Saal heraus in Richtung Mariendorf. Wenn schon Hangar, denn schon Hangar. Das ganze Spektakel entstellt den zur Opulenz neigenden Henze gleichsam zur Kenntlichkeit. Toller Theaterzauber. Das ist Oper. Da kann uns die revolutionäre Botschaft mal gernhaben.

Kai Luehrs-Kaiser, 21.10.2023, RONDO Ausgabe 5 / 2023



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Kronjuwelen

Magazin

Schätze aus dem Plattenschrank

Am Klavier gab es für Claudio Arrau schon früh keine technischen Grenzen mehr. Weshalb ihm rasch […]
zum Artikel

Festival

Kammermusikfestival Lockenhaus

Glückwunsch!

Bei der 41. Ausgabe des burgenländischen Kammermusikfestivals stehen gleich drei Jubilare im […]
zum Artikel

Pasticcio

Am Puls des Menschen

„Auch der Musiker wirkt immer und in jedem Fall dadurch, dass er aktiv oder passiv, bewusst oder […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das Klavierquartett c-Moll des 19-jährigen Strauss war ein Geniestreich, der sofort als solcher erkannt wurde. Komponiert 1883/84, zwischen der ersten Sinfonie und der „Burleske“ für Klavier und Orchester, gilt es als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Brahms und den Formen der klassisch-romantischen Instrumentalmusik.

Aus einer viel späteren Schaffensphase, nämlich den letzten Kriegsmonaten 1945, stammen die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“. Zu jener Zeit arbeitete […] mehr


Abo

Top