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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Harald Hoffmann

Blind gehört – Avi Avital

„Das können Sie ausmachen“

Avi Avital (hebräisch אבי אביטל), geboren 1978 in Be’er Schewa, ist der bedeutendste Mandolinen-Spieler der Welt. Seinen ersten Unterricht erhielt er von einem Geigenlehrer, der zugleich das erste Mandolinenorchester der Stadt gegründet hatte. Avital studierte in Italien und spielte seither sogar in der Carnegie Hall, im Lincoln Center, in der Wigmore Hall, der Verbotenen Stadt in Peking und in der Berliner Philharmonie. Seine Aufnahmen erscheinen bei der Deutschen Grammophon. Er lebt in Berlin. Beim Blind gehört erkennt er alles sofort – oder gar nicht.

Das Stück habe ich sogar schon aufgenommen. Es ist Vivaldis Konzert für zwei Mandolinen in G-Dur, der 1. Satz. Sehr schöne Aufnahme. Ich höre barocke Mandolinen. Es kann also wohl keine sehr alte Platte sein. In Venedig wurden die Instrumente ganz anders gespielt als etwa in Neapel. Auch die Stimmung war eine andere. Bevor die Alte-Musik-Bewegung in Gang kam, hat man stets den neapolitanischen Typus bevorzugt. Er hat unser Bild der Mandoline insgesamt geprägt: vier Doppel-Saiten in Metall. Hier hat das Instrument sechs Saiten und ist mit Darm bespannt. Es müsste sich also um eine jüngere Aufnahme handeln. Das Tempo ist sehr up to date. Ich würde denken: ein italienisches Ensemble. – Was 80er Jahre? Aha, deswegen auch kein Cembalo, sondern eine Orgel. Trevor Pinnock? Respekt. Das hätte ich nicht gedacht.

Antonio Vivaldi

Konzert für 2 Mandolinen G-Dur RV 532

James Tyler, Robin Jeffrey, The English Concert, Trevor Pinnock

1985, Archiv/Universal

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Seeehr schön. Das kann kein anderer als Andrés Segovia sein. Eine extrem inspirierende Figur in meinem Leben. Denn Segovia, zu seiner Zeit, war in Bezug auf die Gitarre in einer ähnlichen Situation wie ich mit der Mandoline. Die betreffenden Instrumente waren etwas für Anfänger. Für Amateure. Kein ernsthafter Musiker kümmerte sich darum. In meinem Fall gab es zwar schon einige Mandolinenspieler, zum Beispiel Raffaele Calace. Aber sie komponierten vor allem für sich selbst. Das Instrument kam im Konzertsaal eigentlich nicht vor. Das hat sich mit Segovia bei der Gitarre geändert. Er hat die besten Komponisten, die er kannte, um neue Werke gebeten. Und eine neue Dynastie von Interpreten begründet, zu der auch ich in gewisser Weise noch gehöre. Segovia war es, der mir das Gefühl gab, auf dem richtigen Weg zu sein.

Johann Sebastian Bach (Arr. Segovia)

Gavotte aus Partita Nr. 3 E-Dur BWV 1006

Andrés Segovia

1927, Warner

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(Bei der ersten Note:) Das bin ich selbst. Das können Sie wieder ausmachen. Ich bringe sehr lange Stunden im Studio zu, bevor so eine Aufnahme das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Es ist in diesem Fall zwar schon zwölf Jahre her. Aber das geht nie mehr weg. Diese Aufnahme schon sowieso nicht, weil sie eigentlich mein Leben verändert hat. Ich hatte sie selbst produziert, kam aus Italien und war gerade in Berlin gelandet. Meine große Vision, nein: mein Jugendtraum war es, bei einem großen Label zu landen. Ich trat schon auf. Aber es bestand noch so ein gewisses, ziemlich ausgeprägtes Misstrauen gegenüber dem Instrument. Ständig musste ich Überzeugungsarbeit leisten, was sehr lästig war. Die Leute um mich herum schüttelten mit dem Kopf. Eine Mandoline bei der Deutschen Grammophon, das klang so, als wolle man Rachmaninows 2. Klavierkonzert auf der Ukulele anbieten. Ich habe die Aufnahme selbst bezahlt. Und mein ganzes Konto dafür leergeräumt. Ich würde es nicht weiterempfehlen. Das Masterband hatte ich in der Hand und sonst nichts. Es hat gottlob hingehauen.

Johann Sebastian Bach

Konzert d-Moll BWV 1052R

Avi Avital, Kammerakademie Potsdam

2011, DG/Universal

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„Deh, vieni alla finestra“ aus Mozarts „Don Giovanni“. Das einzige Mal, dass Mozart eine Mandoline gebraucht. Und prompt hat der Don Giovanni kein Glück! Das hier ist eine neapolitanische Mandoline. Sehr solide, relativ schwer. Bei dem Werk handelt es sich um eine Serenade. Die angeschwärmte Zerlina soll ans Fenster kommen. Es ist die beste Stelle, die Mozart je komponiert hat (lacht laut). Aber auch sehr geschickt eingesetzt.
Als Student in Mailand habe ich mein Geld damit verdient, die Stelle an diversen Theatern im Graben zu spielen. In Bergamo etwa, in Cremona, Brescia, Como und Pavia, wo ich lebte. Das hat meine Miete bezahlt. Der Geniestreich der Stelle besteht unter anderem darin, dass die Mandoline damals ein Instrument für höhere Töchter war. Und ihm deswegen ein Image der Unschuld anhaftete. Genau dieses Instrument gibt Mozart dem überhaupt nicht unschuldigen Don Giovanni mit auf den Weg. Übrigens: toller Sänger, den wir da hören. – Cesare Siepi? Na, kein Wunder.

Wolfgang Amadeus Mozart

„Deh, vieni alla finestra“ aus „Don Giovanni“

Cesare Siepi, Wiener Philharmoniker, Josef Krips

1955, Decca/Universal

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Das dürfte der britische Gitarrist Julian Bream sein. Er war der Größte seiner Zunft in der Generation nach Segovia. Das Werk von Villa-Lobos ist endlich mal keine Bearbeitung. Wenn es mir gelänge, etwas in dieser Preisklasse in Auftrag zu geben, so wäre ich wirklich stolz. Die Mandoline ist mit anderen Instrumenten übrigens leichter zu kombinieren als die Gitarre. Denn wir sind lauter. Kommen sogar mit einer Tuba oder mit einer Trompete gut klar. Und trotzdem ist die Mandoline ein harmonisches Instrument, das sich besser einfügt als sogar die Violine. Nur Mut!, sage ich mir.

Heitor Villa-Lobos

Zwölf Etüden für Gitarre

Julian Bream

1978, RCA/Sony

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Von den Rumänischen Volkstänzen von Bartók gibt es natürlich hunderte von Aufnahmen. Ich kenne die Stücke gut, weil ich sie schon gespielt habe. Eine Schwäche für Folk Music kehrt immer wieder zu mir zurück. Wobei die Leistung Bartóks darin bestand, eine Konzertversion der Melodien herzustellen, die er irgendwo in den Bergen von Transsilvanien aufgetan hatte. Eine unerhört große Leistung. Er hat die Melodien nämlich reharmonisiert, reorchestriert und im Ganzen völlig neu verpackt. Heute wäre es naiv, in den Karpaten herumzustiefeln und zu glauben, man könne es Bartók nachtun. Man geht einfach auf YouTube. Folk Music ist überall. Mein Instrument war ohnehin immer sehr folkloristisch angelegt, es ist genau deswegen eine gute Brücke. – Georg Solti? Gut ausgesucht. Er weiß genau, was er tut.

Béla Bartók

Rumänische Volkstänze BB 76

Chicago Symphony Orchestra, Sir Georg Solti

1993, Decca/Universal

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Ein Gitarrenensemble. Ich frage mich, ob wir uns hier in Los Angeles befinden. Das hat einen sehr schönen Flamenco-Sound. Ich denke, es sind die Romeros. Wenn ich in L.A. auftrete, kommt Pepe Romero immer zu mir. The sweetest guy! Und eine legendäre Familie. Wir hängen doch irgendwie alle zusammen. Merkwürdig, wie neu und geradezu sperrig diese Instrumente wirken, obwohl sie doch eigentlich ganz alt und ursprünglich sind. Viel mehr als die Bogen-Instrumente oder gar das Klavier. Ich glaube, für uns ist das Fluch und Segen zugleich. Beim Schleswig-Holstein-Festival haben wir diesmal erstmalig wieder ein ganzes Mandolinen-Orchester zusammengestellt. Zuletzt gab es das 2017. Für alle, die Lust haben. Es werden 80 Musiker sein. Da freue ich mich besonders.

Trad.

Sevillanas

The Romeros

1962, Mercury/Universal

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Wow. Sehr schön. Ist das Cecilia Bartoli? Wegen der Energie, meine ich. Nicht? Hm, wer ist denn das? Sehr beeindruckend. – Was, Chen Reiss?! Ich habe gestern mit ihr telefoniert. Wir machen ein Programm zusammen, mit einigen guten Freunden. Das ist mir aber jetzt unangenehm. Chen ist ganz erstaunlich. Ein Mozart-Sopran, mit Leichtigkeit und tollem Flair. Sie stellt ihre fulminante Technik nicht zu sehr in den Vordergrund. Wir sind beide Eltern. Sie hat zwei Töchter, ich einen Sohn. Wir kommen beide aus Israel. Miteinander werden wir Villa-Lobos und de Falla machen. Was für eine tolle Sängerin! Und ich habe sie nicht erkannt.

Antonio Salieri

„Tremo, bell’idol mio“ aus „Armida“

Chen Reiss, L’arte del mondo, Werner Ehrhardt

2010, Onyx/Note 1

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Neu erschienen:

Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach, Giovanni Paisiello, Johann Nepomuk Hummel

„Concertos“

Avi Avital, Il Giardino Armonico, Giovanni Antonini

DG/Universal

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Kai Luehrs-Kaiser, 25.11.2023, RONDO Ausgabe 6 / 2023



Kommentare

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Gabriele
Hallo, wie freundlich vom Erfinder auf einen Wunsch aus Berlin nach 'MEHR' von dieser originellen ' Blindverkostung ' , so 'verwöhnend' schnell einzugehen ! Und gleich mit einem besonderen Instrument und dem für mich sympathisch ' unperfekt - perfekt' ganz entspannt 'erkennenden' Interviewgast! Tolle Aufnahmen in der Auswahl und die Anspielchance dazu. Sehr sehr vergnüglich. Ganz großes Dankeschön. Übrigens auch für den kollegialen Hinweis hier zum beeindruckenden Nachruf von Attila Csampi zum 100. Geburtstag der großen Unübertroffenen! Wie fair. Merci.


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