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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Die Siebte Pfeife: Der neue Akkord an der John-Cage-Orgel in Halberstadt lässt sich die nächsten viereinhalb Jahre lang besuchen © https://archiv.aslsp.org

Pasticcio

16. Klangwechsel

Endlich gibt es mal eine Konzertankündigung, bei der man sich wünscht, dass die Schwarzmarktpreise für die Tickets so richtig durch die Decke gehen mögen. Zumal es von den Eintrittskarten gerade einmal 50 Stück gibt. Der offizielle Ticketpreis von 2640 Euro deutet aber allein schon an, dass es sich hierbei nicht um ein standardisiertes 20-bis-22 Uhr-Konzert handelt. Vielmehr liegt es in so weiter Ferne, dass wir heutigen Erdlinge das nicht mehr besuchen werden können. Erst am 4. September 2640 findet nämlich das große Finale eines XXXL-Klangprojekts statt, das am 5. September 2001 zunächst mit einer langen Pause begann. An jenem Tag startete in der Kirche Sankt Burchardi in Halberstadt/Harz die Aufführung des Orgelwerks „Organ2/ASLSP“ des amerikanischen Sonderlings John Cage. Und da die Spielanweisung „As slow as possible“ (So langsam wie möglich) lautet, nimmt man sich hier viel Zeit. Bis ein weiterer neuer Ton angeschlagen wird, kann das schon mal viele Jahre dauern. So erklangen etwa nach dem letzten, 15. Tonwechsel im Jahr 2022 zwei Jahre lang sechs Pfeifen.
Nun ging der 16. Klangwechsel in Anwesenheit der internationalen Cage-Gemeinde über die Bühne. Und die siebte Pfeife mit dem eingestrichenen „d“ erklingt die kommenden viereinhalb Jahre – bis zum 5. August 2028. Angesichts dieser musikalischen Zeitrechnung ist es daher auch kein Wunder, dass die komplette Aufführung von „Organ2/ASLSP“ stolze 639 Jahre einnehmen wird. Bis eben zu jenem 4. September 2640! Für diesen etwas anderen Feiertag der Neuen Musik bietet die verantwortliche „John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt“ nun die entsprechenden Karten an. Aber natürlich ist das mehr als nur ein PR-Gag. Mit dem Erwerb dieser Rarität gehört man zum exklusiven Kreis der notwendigen Förderer dieses Mammut-Konzerts. „Sie können an dem Datum nicht? Sie werden verhindert sein?“, so die Organisatoren auf der Website. „Das macht nichts. Das Ticket ist übertragbar. Laden Sie einfach Ihre Nachfahren ein. Sie können auch die Eintrittskarte später wieder verkaufen, sollten Sie plötzlich doch etwas anderes vorhaben.“ Und jede Wette: Sollte es den Euro im Jahr 2640 noch geben, werden die Erben beim Wiederverkauf garantiert mehr als nur ein gutes Geschäft gemacht haben.

Guido Fischer



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