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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Musikstadt

Bad Ischl im Salzkammergut liegt malerisch im Flusstal der Traun, umgeben von hohen Bergen (c) KHS/Wolfgang Spekner

Musikort

Bad Ischl

Premiere im regionalen Raum: Bad Ischl und 22 weitere Salzkammergut-Gemeinden sind Europäische Kulturhauptstadt 2024. Der Operette bleibt man indes treu.

„Hier ist jeder Zipfel Boden vom Menschen berührt und beeinflusst.“ Kultiviert, irgendwie. Das sagt einer, der es wissen muss, der junge Valentin Salvator Markus Graf von Habsburg, im Hauptberuf IT-ler, aber wohl einmal bestimmt, als Ururenkel des österreichischen Kaiserpaars Franz Joseph I. und Elisabeth ­dessen Hochzeitsgeschenk, die 1918 nicht verstaatlichte Kaiservilla in Bad Ischl zu übernehmen.
Augenblicklich allerdings spielt im kostbaren Salon nebenan eine Stubenmusi und drängeln sich die Gäste vor der 2000. abgeschossenen Gams seines Vorfahren wie vor dessen, hier im Arbeitseckzimmer verfassten Erklärung „An Meine Völker!“, welche den Ersten Weltkrieg auslöste. Man feiert einen ganz besonderen Auftakt: Bad Ischl samt 22 weitere Gemeinden, sind, zusammen mit dem estnischen Tartu und dem norwegischen Bodø, europäische Kulturhauptstadt 2024.
Also europäische Kulturregion. Eine Premiere in der bald 40-jährigen Geschichte der 1985 von der damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri initiierten Idee zu Sichtbarmachung und Förderung solcher Werte. Das Salzkammergut, und Ischl im Besonderen, sind nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen ihrer Historie eine besonders gute Wahl. 7000 Jahre Industrie, Handel, Kultur. Weltläufigkeit in der Enge. Übertourismus im längst schon in China duplizierten Hallstatt. Alte Nazis bis vor noch nicht so lange in Bad Aussee, ganz nahe beim sagenhaften, nie gefundenen Gold im Toplitzsee. Viel ältere Menschheitsspuren finden sich allerdings im Hallstätter Salzberg.
Salz – weißes Gold. Deshalb kam die vor allem wirtschaftlich kostbare Gegend der hohen Berge, engen Täler und lieblichen Seen schon früh in Privatbesitz der Habsburger, die die Sole frühindustriell auskochten, und damit ein Drittel ihres Einkommens erwirtschafteten: im Kammergut, Salzkammergut, von Gmunden aus organisiert. Bis 1998 war die Saline Austria in Ebensee staatlich.
Das streng katholische Erzhaus aber beflügelte vor knapp 200 Jahren auch den Tourismus und die Sommerfrische in der protestantischen Region: Auf Anraten ihres Leibarztes Franz de Paula Augustin Wirer, später geadelt als Ritter von Rettenbach, kam die Erzherzogin Sophie nach fünf Fehlgeburten zum Kuren nach Ischl. Drei „Salzprinzen“, darunter der dringend benötigte Erbe Franz Joseph, waren die schnelle Folge und – dank der sich anschließenden, allsommerlich-imperialen Aufenthalte – begründeten den Tourismusreichtum der Region bis lange nach dem zweiten Weltkrieg. Das gilt an immer noch zauberhaften Orten der nun modischen Entschleunigung, der Regionalität und Nachhaltigkeit heute wieder.

Salz statt Zucker

Ein wenig Leitungserfahrung hat man ja im immer noch operettigen Ischler k.u.k-Idyll zwischen Traun und Ischl, Katrin, Jainzen und Siriuskogel: von wo bis 1914, also 83 Sommer lang, von Juni bis September die Donaumonarchie aus regiert wurde; wo in den Zwischenkriegsjahren die wichtigsten Köpfe der musikalischen Unterhaltungsindustrie sommerfrischten und networkten, bevor die meisten ab 1938 emi­grierten oder nach Auschwitz deportiert wurden; von wo aber auch die seit 1821 in der siebten Generation ansässige Zuckerbäckerei Zauner mit immerhin 140 Mitarbeitern bis heute ihre Zaunerstollen, Ischler Törtchen, Baronesserln, Lehár-Schnitten, Stolz-Herzerl und neuerdings auch Europa-Torten (mit Orangen und Salzkaramell) in die ganze Welt verschickt.
Das Kulturhauptstadt-Projekt stemmt sich gegen kleinkarierte Kommunalpolitik und nostalgiesüchtiges Postkartenidyll. Als Motto gibt es „Kultur salzt Europa“ vor und sorgt dafür, dass 2024 in etwa 300 Projekten nicht nur Tradition und Zukunft, sondern auch das Heute samt Feminismus und Queerness zu seinen Vorzeigerechten kommt. Sogar im leerstehenden Ischler ­Bahnofsbeisl richtet ein jungwilder Gastronom ein Pop-up-„Wirtshauslabor“ aus.
Aber wenig ist so nachhaltig wie etwa Ateliers in einer alten Schule in Bad Goisern. Wo man jetzt nicht nur die berühmten Goiserer-Wanderschuhe verkauft, sondern auch mit einem Kunstdrechsler aus Frankreich und einer Stoffdesignerin aus den USA über die Weiterentwicklung tradierter Formen und Muster ganz praktisch nachdenkt.
Immerhin wird in Ischl das seit Jahren leerstehende, jetzt von einer internationalen Künstlerschaft mit den eigenen Zähnen aus Salzstein, überkrusteten Schuhen, beträufelten Steinen, salzigen Regenduschen und Pulverlabyrinthen lustvoll bespielte Alte Sudhaus künftig ein Ort der Kultur. Ebenso das lädierte, nicht einmal mehr als Kino taugende Lehár Theater, wo einst Johann Strauß vom König von Siam mit dem Elefanten­orden I. Klasse ausgezeichnet wurde.
Gleichzeitigkeit im regionalen Raum. So gibt es jetzt hier etwa an einem Wochenende im Pfarrsaal einen taglangen Frühschoppen vom Trachtenverein mit Klarinettenmusi, Dreig’sang, Danzl-Trio und Schuhplattler, während in den ehemals kaiserlichen Stallungen zum intellektuellen Katerfrühstück als Weltsalon „Europa im Umbruch“ zu Kolatschen und Großem Braunen geladen ist. Und am verschnörkelt schönbrunngelben Postamt steht in Riesenlettern auf ein Prospekt kreuzgestickt: „So long ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in.“
Mit Barrie Koskys wiederbelebter Berliner Version für die Turbospieler Dagmar Manzel und Max Hopp von Oscar Straus’ „Eine Frau, die weiß, was sie will“ zollte man bereits dem Operetten-Genius-Loci Reverenz, bevor dann im Sommer wieder das traditionelle Lehár Festival seine Melodien auf der Kursaal-Bühne entfesselt. Bis dahin soll auch die jahrelang restaurierte, noch original eingerichtete Lehár-Villa am Traunkai mit einer neuen Dauerausstellung zugänglich sein. Da wäre sie wieder komplett, die wunderbare gestrige Melange aus politischer und musikalischer Doppelmonarchie.
Fremdenführungen wandeln gern auf den Spuren der Musiker – vom Offenbach singenden Johann Nestroy über Johannes Brahms und den Hoforganisten Anton Bruckner bis zu Strauß, Lehár, Kálmán, Oscar Straus, Edmund Eysler, Leo Fall. Sie alle promenierten im Sommer auf der Esplanade, heute kann man an deren ehemaligen Domizilen zumindest vorbeiflanieren.
Und wem das immer noch nicht genug Operettenhauptstadt ist, der fahre die 20 Minuten bis ins Seeidyll St. Wolfgang und summe neben der Kirche auf der „Weißen Rössl“-Terrasse bei Nockerln oder Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster und Schlag: „Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein! Und die Musi spielt dazu, holdrio.“

Weitere Infos:

www.leharfestival.at
www.salzkammergut-2024.at

In den Zwischenkriegsjahren sommerfrischten und networkten hier die wichtigsten Köpfe der musikalischen Unterhaltungsindustrie, bevor die meisten ab 1938 emigrierten oder nach Auschwitz deportiert wurden.

Manuel Brug, 23.03.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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