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N° 1355
27.04. - 06.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Tomás Luis da Victoria

Passion (Officium Hebdomadae Sanctae)

La Capella Reial de Catalunya, Hespèrion XXI, Jordi Savall

Alia Vox/hm AVSA9943
(200 Min., 7/2018) 3 SACDs

Mit der gewohnten Opulenz, die seine Produktionen in der Regel kennzeichnet, hat sich Jordi Savall mit der Capella Reial de Catalunya und Hespèrion XXI dem „Officium Hebdomadeae Sanctae“ von Tomás Luis de Victoria (1548–1611) gewidmet. Zu dieser umfangreichen Sammlung von Musik für den Palmsonntag und die wichtigsten Stundengebetsfeiern der Karwoche (vor allem die Matutinen des Gründonnerstags, Karfreitags und Karsamstags) gehört eine Vertonung der Turbachöre der Matthäus-Passion (für den Palmsonntag) und der Johannes-Passion (für den Karfreitag), die Vertonung der Lamentationslesungen sowie eines Teils der Responsorien der drei Kartage und einige Motetten über weitere wichtige Texte der Karwoche. Karwochen-Musiken dieser Art waren stets für die Alternatim-Praxis gedacht, d. h. die nicht mehrstimmig gesetzten Teile der liturgischen Musik wurden und werden in Gestalt der gregorianischen „Originale“ ergänzt – so vor allem die Soliloquenten-Passagen in der Passion, aber außerdem die ganze Psalmodie der Matutinen. Eine „Gesamtaufnahme“ der Passionsmusik von Victoria muss – besonders wenn sie, wie es Savalls erklärtes Ziel ist, einen Eindruck von der liturgischen Atmosphäre schaffen will, zu der diese Musik gehört – zwecks Ergänzung der von Victoria gesetzten mehrstimmigen Teile stets eine Auswahl der einstimmigen gregorianischen Stücke mitliefern, um Victorias Stücke sinnvoll einzubetten. So geschah es auch für diese Einspielung: Wir hören einige Antiphonen der Karwochenliturgie, allerdings ohne die dazugehörigen Psalmen – eine Kompromisslösung, die allenfalls den Kenner der liturgischen Realität etwas unbefriedigt zurücklässt.
Eine Besonderheit der Herangehensweise Savalls ist, dass er sich gemäß der Praxis an spanischen Kathedralen des späten 16. Jahrhunderts dazu entschloss, die vokale Polyphonie durch Colla-parte-Instrumente zu ergänzen und sowohl mit dieser Instrumentengruppe (Violen und ein Dulzian) als auch mittels der Besetzungsstärke des Gesangsensembles die Gesänge quasi zu „registrieren“: Mal hören wir eine solistische Sängerbesetzung allein, dann durch Ripienisten verstärkt und allein im Bass durch den Dulzian verstärkt, dann wiederum insgesamt durch Violen in allen Partien. Die verschiedenen Besetzungen wechseln häufig innerhalb der einzelnen Stücke, wodurch Savall die unterschiedlichen Grade der dramatischen Intensität hörbar machen will. Diese Praxis ist zwar für Spanien, aber wohl kaum für Rom (wo die Sammlung 1585 im Druck erschien) nachweisbar. Insgesamt erleben wir eine Wiedergabe der Passionsmusik Victorias auf recht hohem Niveau: Die Gesangsbesetzung agiert nicht ganz vibratofrei, aber doch in der Regel recht intonationsrein. Die Gregorianik-Schola bewegt sich hinsichtlich ihrer Homogenität auf durchaus wechselndem Niveau. Überzeugend ist aber stets die Textnähe, die Savall nicht nur durch gute Diktion, sondern eben auch durch eine extravertiertere Art der Gestaltung erreicht, die der historischen Verortung der Musik in der Spät-Renaissance Rechnung trägt. Begleitet wird die Edition durch ein reichhaltiges Beiheft mit mehreren kompetenten Aufsätzen zur Musik und ihrem theologischen Umfeld, die auch ins Deutsche übersetzt wurden.

Michael Wersin, 07.08.2021


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