Was tun, wenn einem die Pandemie die gemeinsame Arbeit in einem Studio unmöglich macht? Nils Petter Molvaer wusste Rat: Er setzte die Arbeit an dem Album „Stitches“ fort, indem jedes Mitglied der Band in einem anderen Studio seinen Beitrag einspielte und das Ganze zum Schluss zu einem finalen Produkt gemixt wurde. Etwas Besonderes? Eigentlich nicht. Viele Pop-Produktionen entstehen in einem ähnlichen Schichtaufbau.
Elf Stücke entstanden so, die meisten etwas hippeliger als die bisherigen Werke des norwegischen Trompeters Molvaer. Die Rhythmen des Schlagzeuger Erland Dahlen nähren sich aus Ethno-Beats, Techno, Hip-Hop, Minimal-Beats, Trance, Film-Bombast, Rock und einem Fünkchen Jazz. Johan Lindstrøm, in Teilen ein Seelenverwandter von Bill Frisell, lässt die Gitarre mit Country-Einflüssen wimmern und beben. Außerdem hat er sich bei den kreischenden Sounds von Terje Rypdal und der Energie einer ganzen Reihe von Rockgitarristen Anregungen geholt. Mit sonoren Klängen, dunklem Pulsieren oder effektvollem Bogenkratzen verstärkt der Bassist Jo Berger Myhre die jeweilige Atmosphäre mit dem Elektro- oder Kontrabass. Aus all dem erhebt sich Molvaers Trompete im Naturklang oder mit elektronisch verfremdeten, meist gleitenden Melodien sowie angerauten Sounds.
Beim Zusammenbau und der finalen Abmischung der elf Stücke griffen Molvaer und Jon Marius Aareskjold in die Trickkiste der Studiotechnik. Sie fügten Verzerrungseffekte hinzu, die stellenweise die Befürchtung aufkommen lassen, die Membran des heimischen Lautsprechers sei beschädigt. Aber keine Bange: Wenig später klingen wesentlich lautere Töne wieder lupenrein. Sounds wabern, Töne strahlen. Oder sie sind nur hinter Wolken zu ahnen. In jedem Fall entfalten sie eine ungewöhnliche Magie, wie sie schon auf vielen früheren Molvaer-Discs zu spüren war. Corona konnte diesem von Fantasie und Klangtüfteleien geprägten akustischen Kosmos nichts anhaben.

Werner Stiefele, 04.09.2021

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