Martha Argerich ist eine Legende und ein Phänomen: Seit sechs Jahrzehnten begeistert sie die ganze Musikwelt durch ihre überwältigende Ausdruckskraft, ihre stupende Virtuosität und ihre einzigartige Musikalität, die jeden ihrer Auftritte zu einem unvergesslichen Erlebnis macht. Sie ist fürwahr eine Hexenmeisterin ihres Instruments und ihr Charisma ist bis heute ungebrochen. Dass sie sich heute, mit bald 82 Jahren, zunehmend auf ihre Lieblingsstücke konzentriert, ändert nichts an deren elektrisierender Wirkung.
2019 bestritt sie ihr spätes Debüt beim Israel Philharmonic Orchestra mit zwei Konzerten, die sie schon mehrfach sehr erfolgreich eingespielt hat, und die beide jugendliche Lebensenergie mit zärtlichster Innerlichkeit verbinden. Der jetzt veröffentlichte Live-Mitschnitt des 2. Beethoven- und des G-Dur-Konzerts von Ravel ist ein weiteres faszinierendes Dokument ihrer nicht nachlassenden Power und ihrer blitzartigen Impulsivität, die gerade in einer solchen „Live“-Situation für durchgehende Hochspannung zwischen ihr, dem hochmotivierten Orchester und dem Publikum sorgen. Man staunt nur über ihre geistige und manuelle Präsenz, ihre Souveränität, und wie sie es immer wieder schafft, die Konzerte so frisch, so unverbraucht von innen heraus glühen zu lassen, als wären sie gerade entstanden. Dann aber spürt man auch ihren gewaltigen Erfahrungsschatz, der sie in den langsamen Sätzen zu einer Innerlichkeit von zärtlichster Empfindsamkeit ermutigt, und so auch das tiefe Humanum beider Werke erleben lässt. Es sind beides wunderbare, tief empfundene Appelle ans Leben, und Martha Argerich deren ewig junge, begnadete Verkünderin.

Attila Csampai, 06.05.2023

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