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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Compassion

Vijay Iyer

ECM/Universal 5567498
(66 Min., 5/2022)

Anders kann eine Aufnahme, die von der Poesie und der Notwendigkeit des Mitgefühls handelt, nicht beginnen: Tyshawn Sorey tupft mit allergrößter Vorsicht die Becken seines Drumsets an, ganz so, als hätte er Angst, dem Metall Leid zuzufügen. Vijay Iyer und Linda May Han Oh hören sich das zunächst in respektvoller Ruhe an, bis sie Sorey dann mit frei fließenden Tonbewegungen auf dem Flügel und dem Kontrabass beistehen.
So zart bleibt die Aufnahme freilich nicht: Das Trio bewegt sich kraftvoll und mit einer gewissen Schärfe durch einen Großteil der Stücke, die sich durch die Verwendung krummtaktiger Formeln auszeichnet, wie man sie von einem studierten Mathematiker wie Iyer wohl erwarten kann. Das kann mal so weit gehen, dass die überbordende Polyrhythmik alles zum Stolpern und Auseinanderfallen bringt (etwa in „Maelstrom“), oder auch zu einem mutwillig verkomplizierten Hip-Hop-Beat führen („Ghostrumental“), auf dessen Grundlage Klavier und Bass gemeinsam ein nonverbales Gedicht rappen.
Dabei gerät das große Thema des Albums nie aus dem Blick: So einfühlsam die Drei auf die musikalischen Regungen des jeweils anderen reagieren (vor allem Sorey erweist sich als regelrechter Schlagwerk-Seismograf), so konsequent trägt auch jede Komposition auf „Compassion“ einen Aspekt der tief empfundenen Mitmenschlichkeit in sich. So beispielsweise in der kross angebratenen Jazzwaltz-Version von „Overjoyed“, die in Wirklichkeit ein liebenswerter Nachruf auf Chick Corea ist, der die Stevie-Wonder-Nummer bei seinem letzten Konzert spielte und dessen Yamaha-Flügel Iyer geerbt hat. Oder in den Stücken, die der Pianist zum Tode seines Vaters („Prelude: Orison“), für die Pandemie-Opfer („Maelstrom“, „Tempest“, „Panegyric“) oder auf Grundlage der Poeme der Dichterin Eve L. Ewing geschrieben hat („Where I Am“, „Ghostrumental“, „It Goes“).
Zum Schluss lädt das Trio mit seiner ostinat-tänzelnden Verschränkung von John Stubblefields „Free Spirits“ und Geri Allens „Drummer’s Song“ gar zum Feiern ein. Wer sagt denn, dass das Werben um mehr Mitgefühl zwangsläufig ein Trauerspiel sein muss?

Josef Engels, 03.02.2024


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