Abbey Simon (1920-2019) zählte neben Earl Wild, Byron Janis und Van Cliburn zu den „Megavirtuosen“ der USA, die im 20. Jahrhundert das Konzertpublikum weltweit durch ihre Brillanz verzauberten. Da er in seiner langen Karriere nicht oft in Europa auftrat, und auch den Großteil seiner Aufnahmen für das US-Label Vox einspielte, blieb er hierzulande eher ein Geheimtipp für Kenner. Jetzt hat Naxos im Zuge seiner Reissue-Serie mit herausragenden Vox-Aufnahmen aus den Anfangsjahren der Stereofonie auch die erste Folge der konzertanten Werke Chopins von den alten Analogbändern neu überspielt, die Simon im Jahr 1972 In Hamburg mit den dort ansässigen Symphonikern unter Heribert Beissel produzierte.
Neben dem ersten Klavierkonzert enthält die CD auch die „Fantasie über Polnische Weisen“ und die selten zu hörende Orchesterfassung des berühmten „Andante spianato et Grande Polonaise“ aus dem Jahr 1835. Im Kopfsatz des e-Moll-Konzerts kann man staunend nachverfolgen, wie es dem damals 52-jährigen Pianisten gelang, das (im ersten Tutti) eher steif und eckig aufspielende Orchester in den Bann seiner mühelos fließenden Virtuosität zu ziehen, es emotional aufzulockern und es mitzunehmen auf seinem romantischen Zaubertrip. Man ist vom ersten Klaviereinsatz an buchstäblich verzaubert von der filigranen Leichtigkeit, Mühelosigkeit, der Eleganz und Stringenz seines Spiels: So schafft er es, sein Instrument zum Singen zu bringen, als bestünde der komplette Satz aus einem einzigen riesigen Legato, einem einzigen unendlichen Atem. Selten klang dieses Konzert so stimmig und so unprätentiös. Und das gilt auch für die anderen beiden Werke. So zählt auch Abbey Simon, der kurz vor einem 100sten Geburtstag 2019 in Genf starb, wie auch Horowitz und Cziffra, zur Gilde der Old-School-Magier, die vermutlich ohne Nachfolger blieben.

Attila Csampai, 02.03.2024

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