Die Familie billig aufzunehmender Solo-Werke für Streicher hat Nachwuchs bekommen. Was schon den Violin-Sonaten von Ysaÿe und der Cello-Sonate von Kodály zu ungeahnter Verbreitung half, das könnte auch den vier Sonaten für Violoncello solo von Mieczysław Weinberg zugutekommen. Sie aufzunehmen kostet wenig. Im Zuge der Wiederentdeckung jenes Schostakowitsch-Zeitgenossen, um den in den letzten Jahren ungeheuer viel Aufhebens gemacht wurde, entstand eine Weltersteinspielung der vier Werke zunächst 1996/97, gespielt von Josef Feigelson (Olympia, später wiederveröffentlicht bei Naxos). Nach Dmitry Yablonsky und Marina Tarasova folgt hier die vierte vollständige Aufnahme der Werke. Und die prominenteste.
Weinbergs Cello-Sonaten sind sämtlich Werke der Reife, sie durchziehen seine besten Jahre von 1960 bis 1986 wie eine Goldader. Im Stil bleibt sich der Komponist erstaunlich treu – so ähnlich wie sein Freund Dmitri Schostakowitsch. Die beiden zeigten einander wechselseitig, was sie so komponiert hatten. Das hört man. Nach avantgardistischen Anfängen hat sich Weinberg, als er mit den Cello-Sonaten beginnt, längst harmonisch ‚eingependelt‘. Die Werke sind tonal. Teilweise neoklassizistisch, so auch in der Wahl der Sonaten-Form.
Der italienische Cellist Mario Brunello, der früher mit Claudio Abbados Orchestra Mozart musizierte, wurde auf Weinberg gestoßen durch den Geiger Gidon Kremer, welcher füglich als der wichtigste Promoter der Weinberg-Renaissance gelten kann. Brunellos italienisch beseelter Ton bekommt den kantablen Werken außerordentlich gut. Der Kalte Krieg scheint atmosphärisch wie verflogen. Dass scheinbar so spröde Solo-Werke dermaßen gut ins Ohr gehen, macht den wahren Aha-Effekt dieser Aufnahmen aus. Empfehlenswert.

Kai Luehrs-Kaiser, 23.03.2024

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