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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Eine eigenartige Sache, dieser Livemitschnitt von Benjamin Brittens "War Requiem": Helmuth Rilling dirigiert ein Spitzenensemble und Spitzensolisten; alle agieren mit wünschenswerter Präzision auf allen Ebenen des komplexen Stücks – und dennoch bleibt das Ergebnis über weite Strecken seltsam blass, ja oft gar belanglos. Der Grund: Es fehlen Stringenz und dramatische Spannung, es fehlt der zupackende Arm eines von unbändiger Leidenschaft befeuerten Dirigenten. Schon der grandiose erste Satz mit seiner beunruhigenden Quintolenmotivik fängt irgendwie gar nicht richtig an; man hört dies, man hört jenes – aber es fehlt ein verbindender, zwingender Gestus, es fehlt jener Klammergriff, mit dem Benjamin Britten selbst in seiner Aufnahme von 1963 (Decca) die Hörerschaft in den Schwitzkasten nahm. "Leute, das Stück handelt in durchaus aufrührerischer Grundhaltung von den namenlosen Schrecken des Krieges", möchte man den Ausführenden der vorliegenden Darbietung zurufen, auch am Anfang des zweiten Satzes "Dies irae", der bei Rilling mit fast uhrwerkhafter Präzision abläuft, ohne allerdings sein eigentliches Wirkungspotential tatsächlich zu entfalten. Genauso geht es in der "Quam olim Abrahae"-Fuge des "Offertorium": Die Evokation des Schreckens über eine im Krieg dahingeschlachtete ganze Generation, die im Zusammenhang mit dem tropusartigen Texteinschub aus der Front-Lyrik Wilfred Owens entstehen könnte, bleibt weitgehend aus.
In diesem vor dem Hintergrund der Möglichkeiten des großartigen Werkes geradezu harmlosen Klima bleiben auch die an sich hervorragenden Gesangssolisten in Sachen Expressivität einiges schuldig: Rein gesangstechnisch stehen etwa James Taylor und Christian Gerhaher vermutlich besser da als seinerzeit Pears und Fischer-Dieskau unter Britten – und dennoch kommt bei den letztgenannten unendlich viel mehr rüber als bei ihren zeitgenössischen Kollegen. Ein gelungenes "War Requiem" braucht wohl doch eine wirklich markante Dirigentenpersönlichkeit; ein Spitzenensemble allein macht hier nicht ohne Weiteres das Rennen.

Michael Wersin, 15.11.2008


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