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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Henning Ross

Dorothee Oberlinger

Italienische Weihnacht

Die Blockflötistin bringt auf ihrem Weihnachtsalbum den Klang der alten Hirtenmusiken in Erinnerung, Matthias Brandt liest dazu Atmosphärisches.

Unsere Weihnachtstraditionen haben mit den realen Begebenheiten in und um jenen Stall zu Bethlehem vor mehr als 2000 Jahren bekanntlich herzlich wenig zu tun. Idealbilder verschneiter Winterlandschaften, Kerzenromantik und der ganze Flitterkram sind Erfindungen aus jüngerer Zeit. In der Tradition westlicher Weihnachtsmusik hat sich allerdings ein Element erhalten, das auch in der überlieferten biblischen Szene verankert ist: Denn es waren Hirten, die zuerst von der Geburt des Heilands erfuhren, und mit ihren Instrumenten aufspielten. Die Tradition der Hirtenmusik an Weihnachten ist in Italien bis heute geläufig, und besonders in der Barockzeit mischte sie sich selbstverständlich mit der Kunstmusik.
Diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, plante Dorothee Oberlinger bereits vor einem Jahr, wie sie am Telefon berichtet: „Am Anfang stand die Idee für ein Weihnachtskonzert in der Essener Philharmonie. Leider musste das Konzert wegen der Pandemie ausfallen, aber wir hatten dann glücklicherweise die Möglichkeit, sehr kurzfristig mit diesem reizvollen Programm das Album ‚Pastorale‘ zu produzieren“.
Die Grundidee: Die bis heute in Italien lebendige Tradition der Piffari (oder auch Pifferari genannt) mit der hochbarocken Kunstmusik zu vereinen: „Ich habe den Dudelsackspieler Fabio Rinaudo gebeten, diese Gruppe zusammenzustellen mit den traditionellen Instrumenten der Piffari, mit Girandola, Piffero – das ist eine kleine Schalmei –, Blockflöte und Fiedel.“ Die Tradition stammt von den italienischen Hirten, die an Weihnachten von den Bergen herunterkamen, um in den Kirchen zu spielen. Mit ihrer Musik wurde in Italien Weihnachten eingeläutet. Händel muss in Rom diese Musik gehört haben, denn er hat später in London eine ‚Pifa‘ für den ‚Messiah‘ komponiert.“
Das Programm ist ein Mix aus Bekanntem und Unbekannten: So ist etwa das berühmte Flautino-Konzert von Antonio Vivaldi dabei, nun mit den Piffari unterlegt, denn Vivaldi greift tatsächlich die altertümlichen Bordun-Klänge auf. „Dass wir die Piffari mit hineinnehmen, ist also überhaupt nicht weit hergeholt. Denn wir wollten den volkstümlichen Ursprung dieser Musiken betonen.“ Auch das berühmte Weihnachtskonzert von Arcangelo Corelli klingt nun ziemlich anders, leichter, swingender durch die quecksilbrigen Blockflöten und zugleich unterlegt mit schnarrenden Schalmei- und Sackpfeifenklängen. „Diese Musik wird dadurch ganz neu koloriert“, sagt Oberlinger.
Auch Raritäten sind zu entdecken wie etwa der „Winter“ von Giovanni Antonio Guido. Er war ein Zeitgenosse Vivaldis, und der Satz beginnt wie der von Vivaldis „Winter“ aus den „Jahreszeiten“ mit der musikalischen Schilderung des krachenden Eises. Wer hat da wen beklaut? „Die Frage können wir nicht mit Sicherheit beantworten. Wahrscheinlich kam Vivaldi zuerst, es könnte aber auch andersherum gewesen sein?“ Ein weiteres Plus: In einer separaten Hörbuch-Fassung wird die anregende musikalische Mixtur atmosphärisch angeheizt durch Matthias Brandts rauchig-empathische Stimme, die literarische Ausflüge in italienische Lieddichtungen und italienische Reiseerinnerungen aus dem 19. Jahrhundert unternimmt.

Neu erschienen:

Corelli, Marcello, Händel, Vivaldi, Guido u. a.

„Pastorale“

Li piffari e le muse, Dorothee Mields, Ensemble 1700, Dorothee Oberlinger

dhm/Sony

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Regine Müller, 10.12.2022, RONDO Ausgabe 6 / 2022



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