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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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Sol Gabetta und Bertrand Chamayou (c) Audoin Desforges

Sol Gabetta

Belcanto auf dem Cello

Mit Bertrand Chamayou hat die Cellistin Mendelssohns Kammermusik für ihr Instrument mit zeitgenössischen Werken kombiniert.

Für Solo-Cello hat Mendelssohn lediglich fünf Werke komponiert, darunter eines seiner wichtigsten Kammermusikwerke, die zweite Cellosonate. Sol Gabetta
setzt dieses gewichtige Werk in Dialog mit seiner ersten Cellosonate, den „Variations concertantes op. 17“, seinem einzigen „Lied ohne Worte“ für Cello und Klavier, sowie Neukompositionen von vier zeitgenössischen Komponisten.

RONDO: Haben Sie schon lange geplant, Mendelssohn aufzunehmen?
Sol Gabetta: Eine Mendelssohn-Aufnahme wollten Bertrand Chamayou und ich schon immer realisieren. Bereits bei unserer ersten Tournee vor 18 Jahren haben wir Mendelssohn gespielt. Als wir nun sein Gesamtwerk aufnehmen wollten, hat mich die Idee fasziniert, Komponisten unserer Zeit zu motivieren, neue „Lieder ohne Worte“ für uns zu schreiben, im Gedanken an Mendelssohn.

Wie entsteht der Bezug zur Gegenwart?
Mendelssohn hat viele „Lieder ohne Worte“ geschrieben, aber nach ihm gab es nur wenige Komponisten, die diese Gattung weiterverfolgt haben. So kam mir in den Sinn, heutige Komponisten zu fragen.

Geht das so einfach?
Natürlich nicht. Nur knapp acht Monate vor der Aufnahme neue Stücke zu beauftragen, war eigentlich eine utopische Idee. Denn die Erfahrung lehrt, dass es bei der Abgabe der Partituren immer Verspätungen gibt.

Wie haben Sie die Auswahl unter den lebenden Komponisten getroffen?
Eine Grundidee war, vier Generationen zusammen zu bringen. Wolfgang Rihm fiel mir sofort ein, denn ich habe sehr, sehr gern sein Cellokonzert gespielt, das „Concert in SOL“, das er für mich geschrieben hat. Es ist sehr elegische Musik und ich dachte gleich, dass seine poetische Art zu schreiben ideal ist für ein „Lied ohne Worte“.

Und Heinz Holliger?
Er war zuerst nicht so sehr davon überzeugt. „Wenn Du nach Schumann gefragt hättest, hätte ich sofort ja gesagt“, hat er zunächst geantwortet. Bei ihm hat es also etwas gedauert. Am Ende hat er ein Stück ganz neu komponiert, und zwei schon existierende Lieder, die er für Geige und Klavier geschrieben hatte, für Cello und Klavier arrangiert.

Wie war es mit Francisco Coll?
Das hatte einen längeren Vorlauf, ich habe ihn schon zwei Jahre vor der Aufnahme gefragt, in dieser Zeit arbeitete er gerade sehr intensiv an seinem Cello-Konzert für mich, das 2022 in Paris uraufgeführt wurde. Und mit Jörg Widmann habe ich bereits vor 20 Jahren zusammengespielt. Seitdem haben wir eine sehr gute Verbindung zueinander.

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Warum vier Generationen?
Weil schon in 20 Jahren ungeheuer viel passiert in der Musik, in der Komposition, in der Interpretation und in der Rezeption. Abgesehen davon, dass jeder der vier eine jeweils völlig andere Idee davon entwickelte, was ein „Lied ohne Worte“ bedeuten könnte.

Was ist für die Interpretation von Mendelssohn wichtig?
Der Partner ist extrem relevant. Mendelssohn ist für unsere Kombination als Duo ein sehr interessanter Komponist. Bertrand hat die Leichtigkeit und perlende Brillanz, das, was Mendelssohns Kompositionen brauchen. Und er gibt mir als Streicherin die Möglichkeit, das Belcanto des Cellos herauszustellen, das dieser Komponist ganz besonders anbietet!

Belcanto ist das Stichwort, ist es wahr, dass das Cello mehr singt als andere Instrumente?
Ich weiß nicht, ich denke, jedes Instrument kann singen. Es ist wohl das Register, das der menschlichen Stimme besonders nahe ist, weshalb immer vom singenden Cello die Rede ist.

Wie kamen Sie zum Cello?
Mein erstes Instrument war die Geige, aber vorher habe ich viel gesungen, ich war in einem Musikkindergarten, wir hatten eine Stunde am Tag Chor. Singen war mein erstes Element. Danach kamen Klavier und Geige. Danach erst Cello, dann wollte ich eine Klarinette kaufen und mein nächster Wunsch war eine Harfe, aber da hat mein Vater dann gestreikt.

Wann haben Sie sich für das Cello entschieden?
Relativ schnell, das Cello war physisch und klanglich so anpackend. Es fiel mir leichter, das Instrument zu halten – die Geige war eher ein Kampf, es war alles zu klein für meine großen Hände! Für ein fünfjähriges Kind ist es wichtig, die Erfolge zu sehen.

Hatten Sie Vorbilder?
Mein Vorbild war meine erste Lehrerin Christine Walevska. Sie war eine richtige Prinzessin auf dem Cello, sie war unglaublich elegant und hatte alles, wovon ein kleines Mädchen träumen kann. Und einen sensationellen Cello-Klang. Als sie mich fragte, was ich von ihr lernen wollte, sagte ich: Ich will ihren Klang haben!

Wie gelingt nun der Zeitsprung von Mendelssohn zu Widmann?
Indem wir diesen Zeitsprung betonen. Für Mendelssohn haben wir einen Hammerflügel von Julius Blüthner aus Leipzig von 1856 ausgewählt und ich habe ein Cello von Antonio Stradivari aus dem Jahr 1717 mit Darmsaiten gespielt. Für die Zeitgenossen spiele ich mein Matteo-Goffriller-Cello aus dem Jahr 1730 mit Stahlsaiten und Bertrand einen modernen Steinway. Aber wir haben versucht, diese Klangwelten zu versöhnen, auch intonatorisch. Der Hammerflügel ist nicht höher zu stimmen als 439 Hz, daher mussten wir den Steinway runterstimmen, damit der Sprung klanglich nicht unsere Idee der Linie zerstört.

Liegt es an der Gattung, dass ein „Lied ohne Worte“ nicht so abstrakt ist wie eine Sonatenform?
Sie haben völlig recht und das war vielleicht unser Glück. So konnten die Komponisten relativ schnell die Inspiration und Zeit finden, für uns zu schreiben, es ist konkreter und kleiner als eine Sonatenform. Ein Lied ohne Worte kann aber vieles bedeuten …

Erscheint am 19. Januar:

Felix Mendelssohn Bartholdy, Wolfgang Rihm, Heinz Holliger, Francisco Coll, Jörg Widmann

Mendelssohn

Sol Gabetta, Bertrand Chamayou

Sony

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Regine Müller, 25.11.2023, RONDO Ausgabe 6 / 2023



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