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27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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Breitwand-Arrangements, strahlender Klang, perfekter Chor: Voces8 macht Sehnsucht nach einem Weihnachten, wie es nie war (c) Paul Stuart

Weihnachten

Zieht euch warm an!

Wir leben in kalten Zeiten. Auch die Weihnachtsalben machen sich dieses Jahr auf Winterreise.

Auweia, dicke Luft bei Joseph und Maria! Als der Zimmermann nach Monaten vom Bau heimkommt, findet er seine junge Verlobte schwanger vor. „Da schlug er sich ins Gesicht, warf sich nieder auf den Sack und weinte bitterlich und sagte: ‚Wer hat diese Übeltat in meinem Haus verübt? Wer hat mir die Jungfrau geraubt und sie befleckt?‘“ Die aber fühlt sich unschuldig. „Sie weinte bitterlich und sprach so: ‚Rein bin ich aber, und ich habe keinen Mann gehabt!‘“ Wer die Weihnachtsgeschichte nur als altdeutsche Butzenromantik kennt, als Bruegel-Wimmelbild der Behaglichkeit, dem fällt bei diesem Text der Zimtstern in den Tee. Howard Arman, bis 2022 Chef beim Chor des Bayerischen Rundfunks, hat mit „Angelus ad pastores“ ein eigenes Weihnachtsoratorium aus der apokryphen Offenbarung des Jakobus geformt. Da wird gestritten und verflucht und Joseph, auf der Suche nach einer Hebamme, erlebt, dass die Welt um ihn herum plötzlich einfriert. Choräle und Motetten gliedern und kommentieren den Fortgang der Erzählung. Und die handelt von Menschen, keinen entrückten Heiligen. Daher lässt Arman sie deklamieren, stottern, rufen, schreien, mit nichts als dem kargen, archaischen Klang der Drehleier von Béla Szerényi Jr. als Begleitung. Kein schönes, beschönigendes Rührstück, sondern aufwühlender Bericht – bis zum Kindermord durch Herodes, der sich vor dem Heiland fürchtet. Im Osten nichts Neues (BR Klassik/Naxos).

Angelus ad pastores

Chor des Bayerischen Rundfunks, Howard Arman

BR Klassik/Naxos

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Kann uns denn dieses Jahr wirklich nach Weihnachten sein, so überfällig, überheizt und überfressen wie immer? Draußen ist es kalt genug für alle, sagt die Lautten Compagney unter Wolfgang Katschner. Und begibt sich auf „Winter Journeys“, quer durch die Jahrhunderte, in fantasievollen Arrangements. Die wenigen Weihnachtsstücke leuchten wehmütig wie Scherben einer Christbaumkugel im Schnee (dhm/Sony).

Winter Journeys

Hanna Herfurtner, David Erler, Stephan Scherpe, Jakob Ahles, Lautten Compagney, Wolfgang Katschner

dhm/Sony

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Das Licht ist in der dunklen Jahreszeit ohnehin kostbar. Also widmet das Calmus Ensemble seinen „Christmas Lights“, musikalischen Schwefelhölzchen, ein schönes Album, das neben den vertrauten Chorsätzen viel Zeitgenössisches und zeitgemäß Arrangiertes enthält – bis hin zum namensgebenden Song von Coldplay. Und das in beeindruckender Reinheit und dynamischer Flexibilität (Bayer Records/Note 1).

Christmas Lights

Calmus Ensemble

Bayer Records/Note 1

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Die vermisst man bei einem Aushängeschild des Chorgesangs: Der „Weihnachtsliederabend mit dem Thomanerchor Leipzig“ hinterlässt den Eindruck, dass Tradition auch hemmen kann. Der weltberühmte Knabenchor zeigt einen obertonreichen, wenig agilen Klang von fast durchgängiger Lautstärke. Kein Jubel, kein Geheimnis im Flüsterton (Rondeau/Rondeau). Der Knabenchor Hannover unter Jörg Breiding, nicht ganz so alt an Jahren, aber mutiger, macht vor, wie es gehen kann. Mit London Brass als einer Blechkapelle mit Aplomb als Gästen, und frischen Arrangements geht es auf große Fahrt: „Christmas Around The World“ steckt an mit seiner Weihnachtsfreude (Rondeau/Rondeau).
Das gilt auch für das lange gelagerte Holz der Capella de la Torre von Katharina Bäuml. Die Musiker stehen vielleicht mit einem Bein in der Renaissance, aber mit dem anderen auf dem Gaspedal. Ihr Streifzug durch alte italienische Weihnachtsmusik fördert Schwungvolles und Tanzbares rund um Hirten und ihre traditionellen Schalmeienbands, die Piffari, zutage (dhm/Sony).

Capriccio pastorale

Capella de la Torre, Katharina Bäuml

dhm/Sony

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Solche Hirten, die sich ja bekanntlich mit Kälte von Berufs wegen bestens auskennen, haben auch in der „Missa pastorella“, der Hirtenmesse von Johann Zach (1713-1773) ihre Handschrift hinterlassen: Ein einfacher, liedhafter Satz, Eingriffe in den Messtext, die das Weihnachtsgeschehen betonen und Gesang in wohligen Terzen und Sexten als musikalischer Frostschutz. Da versteht man ganz plötzlich, woher die „Stille Nacht“ von Landpfarrer Mohr und Franz Xaver Gruber ihren Zauber bezieht. Sie steht am Ende des „Tiroler Weihnachtskonzerts 2021“, das Weihnachtsmusik von Johann Zach gewidmet ist. Und Chor und Orchester der Akademie St. Blasius unter Karlheinz Siessl, mit guten Solisten und viel Feuereifer, machen daraus nichts weniger als – ein Fest (Musikmuseum/Note 1). Dem hellen Stern, der die Heiligen Drei Könige zur Krippe führt, hat das britische A-cappella-Sextett The Gesualdo Six unter Owain Park ein ganz fabelhaftes Album gewidmet. Der „Morning Star“ ist in christlicher Deutung der frühe Bote des heraufkommenden Lichts, schon in der Dunkelheit. Die Chorsätze reichen von Eccard und Byrd bis zu Howells und Pärt und leuchten geheimnisvoll auf unter der so sensiblen und phänomenal ausbalancierten Stimmkultur der Briten (Hyperion/Note 1).

So puristisch gehen nicht alle zu Werke. Felix Klieser wünscht sich – als Hornist Ehrensache! – mindestens „A Golden Christmas“, geschmackvoll gebettet in den Kammerklang des Wiener Concert-Vereins. Soll er haben!

A Golden Christmas

Felix Klieser, Wiener Concert-Verein

Berlin Classics/Edel

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Die große Stimme der Skandinavierin Lise Davidsen, sonst Wagner-Heroine, verlangt für „Christmas From Norway“ nach einem pastoseren Hintergrund, wie ihn das Norwegische Radiosinfonieorchester mühelos beisteuert. Für so ein opulentes Album braucht man sich nicht am Kerzenrest eines Adventsgestecks abzumühen, da muss schon ein Baum im Lichterglanz stehen (Decca/Universal). Noch einen ganzen Sternenhimmel nächtlichen Funkelns darüber wünscht man sich für das Luxus-Oktett Voces8. Die Briten haben für „A Choral Christmas“ keinen Aufwand gescheut und sich um Chor und Orchester ihrer Stiftung ergänzt. Das ist so unfassbar strahlend in Breitwand gedacht, vielstimmig geschichtet und dabei hochkarätig arrangiert und musiziert, als hätte man für die Feiertage einen offiziellen Soundtrack in Auftrag gegeben (Decca/Universal). Ach, vielleicht ist Weihnachten ja doch wieder einmal überfällig?

A Choral Christmas

Voces8

Decca/Universal

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Carsten Hinrichs, 09.12.2023, RONDO Ausgabe 6 / 2023



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