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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Andrej Grilc

Florian Krumpöck

In Horowitz’ Halbgang

Der Pianist über Chopins Balladen, die Vorzüge von Bösendorfer und sein Festival am österreichischen Semmering.

Herr Krumpöck, auf Ihrem Debütalbum spielen Sie Chopins vier Balladen, und zwar – ungewöhnlicherweise – auf einem Bösendorfer-Flügel. Warum?
Florian Krumpöck: Eben drum. Nur wenige Pianisten seit Friedrich Gulda bekennen sich zu dieser Marke. Neuerdings spielt auch Daniil Trifonov wieder einen Bösendorfer, nämlich das neuere Modell Concert Grand 280VC. Die meisten indes bleiben immer noch und fast ausschließlich bei Steinway.

Warum immer Steinway?
Weil es die robusteste, verlässlichste und haltbarste Marke ist. Die entsprechenden Flügel sind überall vorhanden und zumeist gut gepflegt. Steinway-Flügel wurden aber in den letzten Jahren sehr stark auf Lautstärke getrimmt – was zu Lasten der Klangfarben geht. Ich spiele beide Marken, und habe insgesamt sieben Konzertflügel, mit denen ich zu Konzerten reise. Das tun heute vermutlich mehr Pianisten als früher – wo sich solchen Luxus nur Vladimir Horowitz und Arturo Benedetti Michelangeli leisteten.

Klingt auch tatsächlich ziemlich aufwendig und teuer!?
Ist es. Ich habe mir diesen Wahnsinn erst irgendwann angewöhnt. Die Instrumente von mir sind aber speziell „getunt“. In manchen Sälen, zum Beispiel in der Berliner Philharmonie und in den großen Wiener Sälen, steht sogar ein Bösendorfer bereit. Ich bringe meinen aber trotzdem mit.

Was bedeutet: spezielles Tuning?
Bei mir sind die Mechaniken anders reguliert. Weniger „Tastentiefgang“. Und ein veränderter „Halbgang“. Der Dämpfer beginnt später mitzuwandern. Das Ergebnis ist ein bisschen so eine Mischung aus den Flügeln von Horowitz und András Schiff. Von Horowitz habe ich den Halbgang geklaut.

Klingt ja herrlich.
Man kann tatsächlich andere Kunststücke vollführen. Oktavglissandi etwa sind ganz einfach. Böse Zungen behaupten, bei mir sei der Flügel so reguliert, als sei er ein Hammerflügel. Das empfinde ich nicht als Beleidigung. In einer Zeit, in der es oftmals nurmehr darum geht, lauter und schneller zu spielen, sollte man andere Prioritäten setzen. Pianisten heute haben die große Sorge, nicht gehört zu werden. Das macht die Flügel – und die Ziele der Klavierbauer – immer lauter und gröber.

Sittenverfall!
Finde ich auch. Bösendorfer konnte da bis vor zehn Jahren nicht mehr mithalten. Der Bösendorfer 290 Imperial, den ich heute spiele, ist nicht sehr laut, sondern im Gegenteil der intimste Flügel überhaupt. Dabei ist er mit einer Gesamtlänge von 2,90 Metern zugleich der längste. Um einen anderen Vergleich anzustellen: Er ist kein Mercedes, sondern ein Aston Martin. Nicht jedes Taxi kann ein Aston Martin sein.

Warum haben Sie für Ihr Debüt bei einem Major-Label die Balladen von Chopin ausgesucht?
Weil sie das Schwierigste sind, was Chopin zu bieten hat. Chopin, ich muss es sagen, ist eine späte Liebe von mir. Im Studium spielten wir nur die Etüden, sonst nichts. Ich war lange Jahre von Alfred Brendel beeinflusst, der mal gesagt hat: „Es gibt zwei Sorten von Pianisten: den Chopin-Spieler und die anderen.“ Ich wollte zu den anderen gehören, ebenso wie Brendel auch. Erst über Daniel Barenboim und über die Oper bin ich zu Chopin zurückgekommen. Da wurde es eine heftige Affäre.

Was hat Barenboim damit zu tun?
Er war mein Mentor, wir haben uns viel unterhalten. Chopin, so kam dabei heraus, konnte ja nicht gut orchestrieren. Aber am Klavier hat er die erstaunlichsten Orchesterfarben hervorgebracht. In der 4. Ballade etwa ist er außerdem harmonisch überaus gewagt. Die Balladen, finde ich, haben die größte Stringenz und auch Dramatik, zu der Chopin fähig war. Es sind vier Einzeldramen, die mich in ihrer Abfolge sehr interessiert haben. Außerdem bin ich doch einfach ein eher enzyklopädischer Mensch. Ich hasse bunte Programme.

Sie spielen Klavier auch bei dem von Ihnen geleiteten, ziemlich bunten Festival „Kultur.Sommer.Semmering“. Der Semmering, das war die legendäre, ultimative Sommerfrische der Wiener im Fin de Siècle. Die alten Hotels dienen Ihnen als Konzertsaal?
Ja, mit den Grandhotel Panhans sind wir jetzt sogar eine langfristige Bindung eingegangen. Der Festsaal umfasst 280 Plätze. Der Kulturpavillon davor – es ist der erste modular gebaute Konzertsaal in Österreich – ist akustisch so gut geworden, dass wir ihn sogar für Aufnahmen vermieten. Da haben wir noch einmal 380 Plätze. Es können auch Klaus Maria Bran­dauer und Lars Eidinger auftreten. Im Hochgebirge gibt es heute nicht mehr genug Schnee. Die Zukunft der Region, da sind sich alle Beteiligten einig, liegt im Kulturtourismus.

Werden einige der großen Hotels wieder aufgemacht?
Man versucht es. Das Kurhaus, in dem wir früher viel gemacht haben, wäre mir als Konzertsaal mittlerweile zu klein. Ich habe aber die Hoffnung, dass dies ein wirklich schönes Hotel wird. Das würde uns erheblich viel nützen. Im Grunde mehr als ein zusätzlicher Saal.

Bei Ihnen treten Senta Berger, Corinna Harfouch und Elisabeth Leonskaja auf. Wie können Sie die bezahlen?
Die Künstler bei uns kommen vermutlich nicht vorranging wegen des Geldes. Obwohl wir etliche haben, die deutlich mehr bekommen müssten als eine Einheitsgage – denn sie können anderswo noch mehr verlangen. Warum kommen sie? Weil man sich gut um sie kümmert. Auch wegen der Idee, am Semmering zu sein. Und aus Freundschaft. Viele sagen: Wenn die oder der kommt, dann will ich auch.

Im benachbarten Reichenau gibt es seit vielen Jahren Theaterfestspiele. Rivalen?
Unsere Festivals sind befreundet. Der Unterschied: Ich mache kein Theater. Und die Festspiele Reichenau nicht, was ich tue. 90 % unserer Gäste sind Pendler. Was wir brauchen, sind mehr Hotels. Zu Anfang hatten wir 4000 Besucher, jetzt sind es 15 000. Bei mittlerweile 75 Veranstaltungen. Der Wein in den Gasthäusern muss gut sein, auch darauf kommt es an. Und ich kann Ihnen eines sagen: Er ist es.

Infos und Tickets:

www.kultursommer-semmering.at

Frédéric Chopin

Balladen Nr. 1-4, Klaviersonate Nr. 2 b-Moll op. 35, Prelude Nr. 25 cis-Moll op. 45

Florian Krumpöck

Sony

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Kai Luehrs-Kaiser, 10.02.2024, RONDO Ausgabe 1 / 2024



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