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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Rossini-Opernfestival in Pesaro

Oh, wie schön ist Pesaro!

»Oh Pesaro!« Wenn ein Musikfestival – zumal den Autor des Klassikers »Bayreuth für Anfänger « – zu solcher Emphase hinreißt, besteht Anlass zur Freude. Der Schriftsteller Herbert Rosendorfer besuchte für RONDO die Opernfestspiele in Rossinis Geburtsort, wo alles heller, klarer, durchsichtiger ist, auch wenn selbst dort schon, im sonnigen Italien, die Dunkelmänner auf den Bühnen zugange sind.

Manche der musikalischen Heroen der Vorzeit sind einfach leider zu früh verstorben und wussten nicht, dass das Spätwerke waren, die sie zum Schluss geschrieben hatten. Mit 36 Jahren bewusst Spätwerke zu schreiben, blieb Gioacchino Rossini vorbehalten. Eins davon: »Le Comte Ory« war in Pesaro zu sehen. Oh Pesaro! Die Stadt klingt wie eine Muschel, die man ans Ohr hält, aber nicht nach dem Rauschen des Meeres, sondern nach der Musik jenes Schwanes von Pesaro, dessen Geburtshaus inzwischen den Dom, das Rathaus, den Palazzo Ducale im Geiste überragt – so ungefähr steht es in dem Gedicht, das die Speisekarte des »Guercio« ziert. Ich war beruhigt, als ich das erste Mal Pesaro und das erste Mal das »Guercio« besuchte, dass dort Carabinieri essen. Wo die essen, kann man getrost hingehen. Denen wagt kein Wirt, üblen Fraß vorzusetzen. Schade, dass kein Carabiniere in die »Zelmira« ging. Dort wurde einem – im übertragenen Sinn – Fraß vorgesetzt. Ich weiß nicht, warum der Regisseur, dessen Namen ich mir zur künftigen Vorsicht gemerkt habe, dem ich aber nicht die Ehre antun will, ihn hier zu nennen, die ganze Oper in tiefes Dunkel getaucht hat. Ständig finster. Damit es noch finsterer wurde, hat der Regisseur hinten einen riesigen Spiegel angebracht, der die Finsternis verdoppelte. Wahrscheinlich hat dem Regisseur vor der eigenen Inszenierung gegraut. Das kann ich auch wieder verstehen.
Es ist alles heller, alles klarer, durchsichtiger in Pesaro. Wenn auch da bei der »Zelmira« ein Dunkelmann am Werk gewesen ist, sozusagen ein Slinghinsievo, ist Rossini nicht umzubringen. Beruhigend. Das singt sich an der Rampe, wie es sich gehört, wenn der Tenor nach dem Sopran seufzt, oder wenn der Bariton fast den Tenor ersticht. Da ist Oper noch Oper. In Deutschland muss man ja gewärtig sein, in der Oper keine Oper vorgesetzt zu bekommen, sondern Psychologie. Schlimmsternfalls Politik. Noch schlimmer Agitprop, der einzig dank stellungslos herumirrender Regisseure des real existiert habenden Sozialismus auf dem Theater überleben konnte. Zwar war auch der »Comte Ory« von einem Täter bis zur Unkenntlichkeit zugrunde inszeniert worden, aber wenigstens war es da hell auf der Bühne. In Verkennung des Umstandes, dass der geistige Gehalt eines Librettos – falls solches einen hat – an Zeit und Ort der Handlung geknüpft ist. Wenn singende Kreuzritter in einem Bordell der Belle Époque auftreten, ist das vielleicht komisch, aber einer Oper nicht angemessen, die zwar eine Komödie ist, aber eine von denen, die nur mit letzter Anstrengung die Kurve zur Tragödie umgehen, was der geniale Rossini natürlich mitkomponiert hat, für den, der Ohren hat zu hören.
Aber, oh Pesaro! In den Musei Civici hängt, frisch renoviert, die »Pala di Pesaro« von Giovanni Bellini (1475), eine »Krönung Mariae«, aber eigentlich eine »Sacra Conversazione« zwischen Jesus und seiner Mutter, ein Bild von einer Tiefe, die ich auch dann nicht ausloten konnte, als ich so lang vor ihm stand, dass ich fast den ersten Akt von »La scala di seta« verpasste, und das wäre in der Tat schade gewesen. Den Regisseur nenne ich mit Freude: Damiano Michieletto. Auch er hat die Handlung – ein burleskes Nichts – in die heutige Zeit verlegt, und siehe da, es geht, wenn man es mit Witz macht. Die ganze Inszenierung ein Feuerwerk an guter Laune. Die »Seidene Leiter« ist einer der frühen Einakter (obwohl eigentlich abendfüllend) vom 20-jährigen Großmeister. Hier setzt er das, was nur er kann, hemmungslos ein: diese Punktationen, diese Crescendi Rossiniani, diese hinwegreißenden Schnellsprudel mit dem Gehüpf im Orchester drunten. Man lehnt sich zurück und hört zu: Oper als Oper braucht nicht darüber nachzudenken, ob da irgendeiner erlöst wird. Rossini hat seiner eigenen Musik als Musik getraut. Nicht als Weltanschauung.

Wie erfrischend, oh Pesaro, was du da deinem Schwan in die Wiege gelegt hast. Anders aber immerhin in dem Spätwerk – ja, ha! Spätwerk mit 36 – im »Comte Ory«. Da ist das alles zwar auch noch da, aber höchst sublimiert, zurückhaltend eingesetzt, sparsam, dafür umso wirksamer. Und die herzergreifende Air der Comtesse Adèle: »En proie à la tristesse …«, eine der abgehobensten überhaupt, die Rossini gelungen ist, eine Preghiera von außerirdischer Schönheit, und dabei – ja, das ist der Witz eines, der seiner eigenen Musik nicht misstrauen muss – und dabei eigentlich eine Parodie auf eine Preghiera. Wenn ich einmal Zeit habe, schreibe ich eine Analyse: »Die nicht an der Oberfläche liegende Tiefgründigkeit der Musik Rossinis«. Aber ich fürchte, dazu komme ich nicht, weil ich gleich nach Bayreuth fahren muss, wo der musikalische ERNST DES LEBENS webt und waltet. Da gibt es keine Sperenzchen. »Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun.« Ich höre »Parsifal« um seiner selbst willen. Ich esse die Bayreuther Bratwurst in der Pause um ihrer selbst willen. Im »Guercio« habe ich, die Musik des himmlischen Gioacchino noch im Ohr, die Tagliatelle gegessen, weil ich Hunger hatte, und weil sie mir schmeckten. »Wie?!«, hat mich einmal eine Stabreimine und Leitmotiv-Heroine mit Birkenstock-Sandalen zum Abendkleid gefragt: »Sie können nach dem ›Parsifal‹ ans Essen denken?« Oh Schwan von Pesaro – oh Tournedos Rossini …
Die »Scala di seta« dirigierte niemand Geringerer als der alte Claudio Scimone. Wie freute ich mich, als er leise ans Pult trat. »Alt« meine ich als ehrend – ja, nun, er ist vom gleichen Jahrgang wie ich, stelle ich grade fest. Wie denke ich an alles das, was er für Vivaldi zu Zeiten getan hat, als man dessen Namen noch kaum kannte. Das Haydn-Orchester gab sein Bestes und das Publikum und das Ensemble grüßte nicht, sondern ehrte den großen Maestro beim Schlussapplaus. Ein Wort zu den Sängern, schließlich ist Oper ohne Gesang und Sänger schlecht denkbar, obwohl, wenn ich überlege, was die Schlappenseichs sich noch alles ausdenken … Der Publikumsliebling Juan Diego Flórez sang natürlich himmlisch, konnte seine spielerischen Fähigkeiten in dieser Inszenierung aber nicht ausleben, dennoch wurden einige Damen mit orgasmischen Zuständen beglückt. Glänzend, sie sei namentlich erwähnt, Olga Peretyatko als Giulia in der »Scala di seta«. Rossinis zeitgenössischer Ruhm war gigantisch. Spätestens von »Tancredi« und »L’Italiana in Algeri« (1813) an war keine größere Opernbühne denkbar, die nicht Rossini gespielt hätte. Der Ruhm hielt an bis zu Rossinis Tod. Danach verblasste er seltsamerweise. Hing das damit zusammen, dass Belcanto und Risorgimento zwei gleiche Paar Stiefel waren? Die endlich bewerkstelligte Einigung Italiens den Belcanto überflüssig machte? Ist auch noch nicht untersucht. Oder war es das Aufkommen des Verismo? Wie auch immer: Der Ruhm Rossinis verknappte sich – abgesehen von ein paar Ouvertüren als Konzertstücke – auf den »Barbier von Sevilla«. Es ist auch ein Verdienst, ein sehr großes Verdienst Pesaros, dass es das ganze Gefieder seines göttlichen Schwanes wieder über der Welt glänzen lässt. Oh Pesaro –

Herbert Rosendorfer, 15.03.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2009



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