Kronjuwelen

Schätze für den Plattenschrank

Leuchtkraft und Elan

Wenn das mal keine Wachablösung war. Da hatte Karl Richter unzählige Aufnahmen lang unter dem Dach der Deutschen Grammophon das Gesicht des Sublabels „Archiv Produktion“ geprägt – doch noch bevor er 1981 verstarb, hatte man mit Trevor Pinnock einen Dirigenten angeheuert, der frischen Wind in die Hege und Pflege der Alten Musik bringen sollte. 1978 gab der Engländer mit seinem Musikerteam The English Concert seine ersten diskografischen Visitenkarten ab. Auch mit den Orchestersuiten von Johann Sebastian Bach und damit von Karl Richters Säulenheiligem.
Aber mit Pinnock begann tatsächlich ein neues Zeitalter bei der „Archiv Produktion“ und überhaupt in der längst florierenden Originalklangszene. Denn statt sein ausnahmslos mit exzellenten Musikern wie Simon Standage, Elizabeth Wilcock und Anthony Halstead besetztes Ensemble auf jenen ultrakontrastreichen Fullpower-Drive zu eichen, wie er bereits zum Synonym für die „Historische Aufführungspraxis“ geworden war, setzte er lieber auf eine unaufgeregte, aber stets flexible und artikulatorisch differenzierte Gangart. Und davon leben denn auch all die vielen Einspielungen, die bis Mitte der 1990er Jahre für die „Archiv Produktion“ zusammengekommen sind. Wobei Pinnock schon bald auch über den barocken Tellerrand (Bach, Händel, Purcell) hinausblickte und auch die Wiener Klassiker mit großer Leuchtkraft und ansteckendem Elan aufführen ließ. Wie sämtliche Mozart-Sinfonien. Und auch bei den frühen und mittleren Haydn-Sinfonien zeigte man, wie man agil und luftig auf den alten Instrumenten loszulegen verstand.
Anlässlich des 50. Geburtstags des Ensembles bzw. des 45. Jahrestags der ersten Aufnahme bei der „Archiv Produktion“ ist nun das diskografische Komplettpaket von Pinnock und seinem English Concert erschienen. Ob es nun Bachs Brandenburgische Konzerte sind, Opern von Purcell oder u.a. Messen von Haydn – auch hier hat Pinnock zuallererst den Geist dieser Werke befragt und erst dann die Partitur.