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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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(c) Holger Talinski

Gürzenich-Orchester Köln

Die Macht am Rhein

Von der Wiener Klassik bis zu Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ – François-Xavier Roth und das Kölner Gürzenich-Orchester präsentieren ein spannendes Saisonprogramm zwischen Tradition und Moderne.

„Unspielbar“ – mit diesem Urteil hatten Anfang der 1960er Jahren die beiden Kölner Pult-Koryphäen Wolfgang Sawallisch und Günter Wand eine Oper abgetan, die sich schon bald als Jahrhundertwurf entpuppte. Denn vom Aufwand her sprengte Bernd Alois Zimmermann mit seiner Oper „Die Soldaten“ alle Grenzen. So gibt es neben einem riesigen Orchester sowie Sängerensemble auch noch eine Jazz-Combo, Tänzer und Tonbandzuspielungen. Am 15. Februar 1965 erlebte diese „pluralistische“ Oper aber dann doch ihre gefeierte Weltpremiere – dank des mutigen Dirigenten Michael Gielen, der das Kölner Gürzenich-Orchester leitete.
Fast genau 60 Jahre später liegt Zimmermanns Partitur mit ihren adrenalinausschüttenden Klängen, Bach-Zitaten und Marschanleihen erneut auf den Pulten des Kölner Traditionsorchesters. Und wie schon 2018 bei der Kölner Neuinszenierung dirigiert wieder der Gürzenich-Kapellmeister François-Xavier Roth die „Soldaten“ – wenngleich in einer besonderen Fassung. Denn der spanische Star-Regisseur Calixto Bieito richtet Zimmermanns totales Theater als eine überwältigende Konzertsaal-Installation ein! François-Xavier Roth: „Mein Wunsch war es, das Werk in großen Konzertsälen zu spielen, um das Orchester aus dem Graben in den Saal zu holen und so dem Publikum eine völlig neue, ungefilterte Perspektive auf das Werk zu bieten.“ Und Calixto Bieito ergänzt, dass dabei „das Orchester zu einer großen, mörderischen Maschine wird, die in der Lage ist, die Menschen aufzufressen und verändert wieder auszuspucken.“
Das Gürzenich-Orchester als Kannibale – allein das muss man gesehen und gehört haben! Weshalb diese „Soldaten“ schon jetzt zu den absoluten Attraktionen der neuen Konzertsaison zählen. Am 18. Januar 2024 gehen sie über die Bühne der Kölner Philharmonie – bevor Roth & Co. kurz darauf mit dieser Produktion in der Hamburger Elbphilharmonie (21.1.) und in der Pariser Philharmonie (28.1.) gastieren.

Mahler, Bruckner und die Wiener Trias

Auch solche Einladungen in internationale Spitzenkonzertsäle bestätigen den Erfolgskurs, den François-Xavier Roth und das Kölner Gürzenich-Orchester seit 2015 gemeinsam und mit glücklicher und geschickter Hand eingeschlagen haben. Wobei dieses Erfolgsteam die ungeheure musikalische Bandbreite, die vom großen Chorwerk über das klassische Repertoire bis eben auch zur Moderne und Gegenwart reicht, auf durchweg spektakulär hohem Niveau präsentiert.
Genau dieses facettenreiche Spektrum spiegelt sich nun in dem Saisonprogramm und da natürlich auch in von Roth geleiteten Sinfoniekonzerten wider. Gleich beim Festkonzert zu Beginn der neuen Spielzeit widmet sich Roth einem seiner vielen Herzenskomponisten und -projekte. So verwandelt er sich mit dem Gürzenich-Orchester einmal mehr in einen idealen Klangkörper für die Musik Gustav Mahlers (4. Sinfonie, mit der Sopranistin Siobhan Stagg). Zuvor erklingt Igor Strawinskis „Psalmensinfonie“ – und zwar zusammen mit dem von Roth ins Leben gerufenen Kölner Bürgerchor. „Ich freue mich sehr, nach dem Erfolg im letzten Jahr mit Beethovens 9. Sinfonie nun dieses Meisterwerk des 20. Jahrhunderts mit unserem Bürgerchor aufzuführen“, so Roth mit Blick auf das Festkonzert Ende August. „Es zeigt, wie gut dieser Chor ist. Ich bin sehr stolz, dass wir mit diesem Projekt eine so hohe Resonanz in der Stadt haben und wir gemeinsam solche Werke auf die Bühne bringen können.“
Neben diesem Eröffnungskonzert sowie Zimmermanns „Soldaten“ gibt es selbstverständlich viele weitere Highlights und Schwerpunkte. So erhält das Dreigestirn der „Wiener Klassik“ – Haydn, Mozart und Beethoven – in den auch von namhaftesten Gastdirigenten wie Ivor Bolton sowie Riccardo Minasi geleiteten Konzerten einen Ehrenplatz. Und mit der 8. Sinfonie von Anton Bruckner setzt Roth seine gefeierte Beschäftigung mit dem österreichischen Sinfoniker fort, dessen 200. Geburtstag 2024 ansteht. „Der Klang des Orchesters passt fabelhaft zu diesem romantischen Repertoire“, so Monsieur, der bereits 2015 bei seinem Antrittskonzert als neuer Gürzenich-Kapellmeister mit Bruckners 4. Sinfonie triumphierte. Wie bei den bisherigen Bruckner-Aufführungen unterstreicht François-Xavier Roth nun auch bei der Achten mit ihren neuen Klangraumoffenbarungen Bruckners Modernität, indem er zuvor ein brandneues Werk dirigiert. Roth: „Selbst viele seiner Bewunderer wollten ihn davon überzeugen, seine visionären künstlerischen Werke zu verändern, weil die Architektur seiner Schöpfungen ihre Vorstellungskraft überstieg. Mit meinem Bruckner-Zyklus in Köln möchte ich die Sichtweise auf seine Musik verändern. Ich möchte gemeinsam mit dem Publikum die utopischen Aspekte seines Werkes entdecken: Bruckner der Fortschrittliche.“ Vor Bruckners 8. Sinfonie erklingen nun die „Vier Echografien“ des Franzosen Mark Andre, der wie Bruckner ein strenggläubiger Christ ist. Und mit seinen „Echografien“ schafft Andre nicht nur bislang so noch nie gehörte Raumklänge. Über ein live-elektronisches Verfahren fängt Andre mit diesem Stück die ganz spezielle Identität der Kölner Philharmonie ein. „Es geht um die Untersuchung der akustischen Signatur des Raumes“, so der Komponist. „Jeder Raum hat seine eigene akustische Signatur, er ist ein Instrument.“
Zu den vielen Gästen, die Roth und sein Orchester darüber hinaus eingeladen haben, gehören u.a. am Pult Susanna Mälkki, Robert Treviño und Juanjo Mena. Auch die Solistenriege ist topbesetzt, etwa mit Cellist Alban Gerhardt und den Violinisten Leticia Moreno und James Ehnes. Und zu den Pianisten Jan Lisiecki und Benjamin Grosvenor gesellt sich der Franzose Alexandre Kantorow als „Artist in Residence“. Schon 2019 sorgte er für Furore, als er mit 19 Jahren den Moskauer Tschaikowski-Wettbewerb gewann. Seitdem ist der u.a. vom Klangdenken Pierre-Laurent Aimards geprägte Musiker weltweit gefragt. Seiner Vorliebe auch für das große romantische Virtuosenkonzert frönt Kantorow nun bei seiner Kölner Residence. Ausgewählt hat er Franz Liszts 2. Klavierkonzert sowie das als „Ägyptisches Konzert“ bezeichnete Klavierkonzert Nr. 5 von Camille Saint-Saëns, in dem es laut Kantorow unendlich viele Arten gibt, das Klavier erklingen zu lassen. „Ich habe nie ein Stück gesehen, das solche fast buddhistischen Momente hat, in denen der Komponist Mittel und Wege findet, die Harmonien aus dem Klavier erwachsen zu lassen. Beide Werke bieten ungewöhnlich viel Raum für den eigenen Ausdruck, aber auch für das Spiel mit dem Orchester und die Reaktion darauf.“ Die Kölner Gürzenich-Orchester-Saison 2023/2024, sie kann beginnen!

Gürzenich-Orchester Köln

www.guerzenich-orchester.de
Tickets: +49 (221) 22 12 84 00

Guido Fischer, 02.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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