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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Ariane (c) Ralf Wilschewski

Palazzetto Bru Zane

Frankreichs großes Erbe

Die verdienstvolle Reihe „Opéra français“ der Stiftung Palazzetto Bru Zane ist mit Massenets Griechenoper „Ariane“ bei Folge 37 angelangt.

Es liegt natürlich wieder einmal schmeichlerisch in der Hand, das nunmehr 37., diesmal mit drei CDs befüllte Opernbuch der Reihe „Opéra français“. Kastanienbraun ist der weiche Pappeinband, immer wieder anders, diesmal griechisch anmutend die Titelschrift, golden das tiefgedruckte Titelbildsignet – eine Galeere. Denn hier präsentiert sich als Ersteinspielung eine der unbekanntesten Opern von Jules Massenet: „Ariane“, so etwas wie das stilistische Pendant zum drei Jahre jüngeren „Bacchus“, beides 1906 bzw. 1909 an der Pariser Opéra uraufgeführte Griechen-Musiktheaterwerke und leider nicht sehr erfolgreich.
Also genau das passende Beuteschema für die in Venedig im Palazzetto Zane ansässigen Stiftung der Madame Nicole Bru, die natürlich Fondation Palazzetto Bru Zane – Centre de musique romantique française heißt und damit ihren Satzungsauftrag bereits präzise umschreibt. Sie hat sich einmal mehr mit Wissen, Sorgfalt und viel Liebe einem vernachlässigten Werk angenommen, es ediert, aufgeführt, aufgenommen – und in ihrem Internet-Radio auf der Hauswebseite kostenlos ausgestrahlt wird es zudem.
Nicole Bru, diese so zurückhaltend-elegante Dame mit dem kurzen Blondschopf, ganz ein Geschöpf des 20. und 21. Jahrhunderts, hat solches durch ihre großzügige Stiftung möglich gemacht: Dass es für uns wieder ganz alltäglich ist, unbekannte Musik von Victorin de Joncières, Catel, David, Méhul, Godard, Lemoyne, aber eben auch von Gounod, Saint-Saëns, Lalo, Halévy, Meyerbeer, dazu auf der anderen, der Operettenseite von Offenbach, Hahn, Lecocq oder Audran zu hören.
Und so muss man sich längst nicht mehr fragen: Was haben eine Aufführung von Charles-Simon Catels Oper „Les Bayadères“ in Sofia mit Noverre-Balletten in der Königlichen Oper Versailles, ein Kammerkonzert des Trio Arcadis mit Musik von Gouvy in Shanghai, ein Fauré-Abend der Gebrüder Capuçon in Wien und eine konzertante Berliner Gegenüberstellung von Wagners „Fliegendem Holländer“ in des Komponisten eigener Version und der von Pierre-Louis Dietsch komponierten Alternativfassung miteinander zu tun? Denn längst wissen nicht nur die Eingeweihten: Sie alle wurden inspiriert, betreut und bisweilen auch finanziell unterstützt von einer Stiftung, die seit 2009 in einem kleinen, feinen Palazzetto von 1695 in Venedig residiert, in dem schon Mozart aufgetreten sein soll.

Geld, wo vorher keines floss

Dessen Name ist Programm. Das sich inzwischen über 14 Jahre in der europäischen Musikwelt verästelt, auch im deutschsprachigen Raum Fuß gefasst hat und längst auch seine Kontakte nach Asien und Übersee knüpft. Im ehemaligen Ballhaus der Familie Zane hat die Ärztin und studierte Chemikerin Nicole Bru, als Erbin und ehemalige Mitgeschäftsführerin des Pharmazieunternehmen Laboratoires UPSA eine der zehn reichsten Frauen Frankreichs, diskret, aber effektiv einen Ort eingerichtet, der die Förderung der französischen Musik des 19. Jahrhunderts beflügeln soll.
Denn jenseits der großen Opernschöpfer gibt es noch jede Menge Komponistennamen und verloren gegangene Werke der Romantik zu entdecken. Während die zurückhaltende, sich nie ins Konzertrampenlicht stellende Madame Bru auch Wissenschaft und Soziales fördert, wollte sie, Kunstliebhaberin, aber mitnichten Expertin, Geld geben, wo noch keines fließt. Und das ist genau bei der wissenschaftlichen Erschließung der Epoche zwischen dem Beginn der Revolution und dem Ende des ersten Weltkriegs der Fall.
Mit knapp dreieinhalb Millionen Euro finanziert Madame Bru seither jährlich das Centre in Venedig. Als künstlerischer Chef und Herr der Konzerte und Kolloquien, Kurse und Kammerabende fungiert der agile, freudvoll von echter Leidenschaft getriebene Alexandre Dratwicki; dessen Zwillingsbruder Benoît sinnigerweise für das Centre de musique baroque in Versailles die Besetzungen zusammenstellt. So arbeitet man verwandtschaftlich Hand in Hand.
Die Stiftung unternimmt selbst Recherchen, veranstaltet im eigenen, von Sebastiano Ricci ausgemalten Musiksalon-Konzerte und ediert Partituren für andere. Jährlich entwickelt man selbst in Venedig zwei Themenfestivals, ein weiteres in Paris kommt dazu. Palazzetto Bru Zane (PBZ) beteiligt sich weltweit an Aufführungen, sucht Koproduzenten für Platteneinspielungen, und gibt eine Buchreihe für Wissenschaftler wie Laien heraus. Außerdem fördert sie junge Musiker, die sich auf Spiel- und Singweisen des 19. Jahrhunderts spezialisieren wollen.

Sirenenumsungener Massenet

Und jetzt also „Ariane“, fünf Akte französischer Post-Wagnérisme mit impressionistischen Einsprengseln sowie klangliche Erinnerungen an Gluck oder Rameau. Erzählt wird, von den sphärischen Gesägen der Sirenen untermalt, vor dessen kretischem Labyrinth von der Tötung des Minotaurus, dann verfallen auf einem Schiff im stürmischen Meer Ariadne und Theseus einander. Ein Akt später, wir sind auf der Insel Naxos, liebt er freilich bereits deren Schwester Phedra, die dafür von der Liebesgöttin Cypris (ein anderer Name für Aphrodite) getötet wird. Ariadne aber erweckt die Schwester durch einen Gang in die Unterwelt, zu Persephone, wieder zum Leben, lässt sie mit dem ungetreuen Athenerkönig davonsegeln, bleibt sirenenumsungen und einsam auf Naxos zurück.
Nach der Uraufführung war dieses aufwändige Werk, Massenet hatte den Höhepunkt seiner Beliebtheit überschritten, zu Unrecht schnell vergessen. Doch musikalisch hat es seine Meriten. Wie jetzt, in bewährter Bru-Zane-Koproduktion mit dem Münchner Rundfunkorchester eingespielt, ausführlich zu hören. Laurent Campellone dirigiert mit Temperament und Sensitivität Stürme wie Liebesflüstern, Hades-Tänze und Verzweiflungsmonologe. Als bewährte Bru-Zane-Vokalisten lassen sich Judith van Wanroij (Chromis/Cypris), Jean-François Borras (Thésée) und Yoann Dubruque (dessen Freund Périthoüs) vernehmen. Toll als Göttin der Unterwelt klingt der androgyne Mezzo von Julie Robard-Gendre. Etwas säuerlich vibratosatt und wenig unterscheidbar tönen diesmal freilich Amina Edris (Ariane) und Kate Aldrich (Phèdre). Das aber nimmt man in Kauf, denn die Sirenengesänge dieser „Ariane“, sie wirken schnell und nachhaltig.

Neu erschienen:

Jules Massenet

Ariane

Amina Edris, Kate Aldrich, Julie Robard-Gendre, Judith van Wanroij, Jean-François Borras, Yoann Dubruque u.a. Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Laurent Campellone

Palazzetto Bru Zane/Note 1 BZ 1053 (162 Min., 3 CDs + Buch, 1/2023)

Gleich im September gibt es zwei Highlights der Palazzetto-Saison: In Rouen feiert am 22. September Georges Bizets „Carmen“ in einer Neuinszenierung als populärste Oper des Repertoires mit Bühnenbildern und Kostümen (rekreiert von Christian Lacroix) von der Uraufführung von 1875 seine Premiere. Star-Mezzo Marianne Crebassa singt erstmals die Titelrolle. Gleich im Anschluss, am 23. und 24. September, beginnt das Bru-Zane-Herbstfestival in Venedig, das unter dem Titel „Mirroring Worlds“ Exotismus und Utopismus in der französischen Musik des 19. Jahrhunderts beleuchtet. Und für Herbst 2024 ist bereits die nächste Massenet-CD-Veröffentlichung geplant: „Griseldis“, die französische Variante der Griselda/Genoveva-Legende.

Manuel Brug, 09.09.2023, Online-Artikel



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