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N° 1356
04. - 10.05.2024

nächste Aktualisierung
am 11.05.2024



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(c) Clemens Manser

Da Capo

Bayreuth, Markgräfliches Opernhaus – Georg Friedrich Händel: „Flavio, re de’ Longobardi“

Mord und Tittenschlag

Seit Corona-Jahr 2020 agiert Countertenorstar Max Emanuel Cenčić in seiner selten so professionell zu erlebenden Dreifachbegabung als Sänger, Regisseur und Intendant beim Herbstfestival „Bayreuth Baroque“ im Markgräflichen Opernhaus. Nach Porpora- und Vinci-Raritäten folgte die seltene Händel-Oper „Flavio, re de’ Longobardi“ von 1723. Erzählt wird vom Langobarden-König Flavius Cunincpertus, der es toll treibt, seine Gattin nicht schwängert, aber dafür nach der Hofdame Teodata grabscht. Die liebt Vitige. Beim zweiten Liebespaar, Emilia und Guido, gibt es Komplikationen, weil Emilias Vater Lotario Guidos Vater Ugone beleidigt; worauf dessen Sohn den Schwiegervater im Duell tötet.
Händel-Forscher Winton Dean nennt „Flavio, re de’ Longobardi“ treffend „anti-heroische Komödie mit tragischen Untertönen“. Cenčić dreht das mit prägnanten Nummern, aber ohne wirkliche Hits aufwartende Werk, das seine Figuren in ihren Emotionen widerstrebend und bei den Vätern auch karikaturhaft überzeichnet, in Richtung historisch gut informierte Sittenkomödie. Und setzt dabei auf Mord, auf Damenhintern knallende Peitschen, Kunsttitten und stolze Erektionen.
Es jodelt also im Barockwams. Vor allem aber sorgen neben dem nicht als Chor auftretenden Singpersonal 16 Akteure für Bewegung wie Bespitzelung. Das ist in seiner genauen Beobachtung und virtuosen Figurenführung komisch, verwandelt sich freilich in tödlich-untröstlichen Ernst. Bis das gute Opernende naht, der geile Flavio (wepsiger Counter: Rémy Brès-Feuillet) zum Schein zur Königin zurückkehrt, die Paare zusammenkommen dürfen.
Vorher haben die Väter (Sreten Manojlović, Fabio Trümpy) gegreint, vor allem aber die Liebespaare einander geherzt: der diskrete Edelcounter Yuriy Mynenko als Vitige und die altpralle Monika Jägerová (Teodata); ganz besonders das Starpaar, der lockende wie auftrompetende Max Emanuel Cenčić (Guido) und die koloraturjubilierende, jammerschluchzende oder zornbebende Julia Lezhneva (Emilia). Dies alles gibt es derzeit auch noch kostenlos im Stream auf BR-Klassik zu erleben.
Und weil auch noch im Graben Concerto Köln unter dem beherzt übergriffigen Benjamin Bayl in den Arien glänzt und bebt, der alte Theaterholzkasten swingt, singt und kräftig lacht – da fragt man sich dann schon: Warum wurde dieser frech-potente „Flavio“ so lange vergessen?

Manuel Brug, 21.10.2023, RONDO Ausgabe 5 / 2023



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