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27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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„Change must be now“: Die Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington ist im Rahmen von „Enjoy Jazz“ im Rhein-Neckar-Delta zu erleben (c) Delphine Diallo

Terri Lyne Carrington

Trommeln für die Sichtbarkeit

Audiovisuelles Gesamtkunstwerk: US-Schlagzeugstar Terri Lyne Carrington feiert Europapremiere mit „Seen/Unseen“ bei Enjoy Jazz.

„Internationales Festival für Jazz und Anderes“ lautet die Selbstbeschreibung der illustren Konzertreihe Enjoy Jazz, die seit 1999 zwischen Oktober und November in der Rhein-Neckar-Region stattfindet. Man sollte das „Andere“ aber tunlichst nicht mit Beliebigkeit verwechseln. Denn damit ist nicht nur der neugierige Blick des von Rainer Kern initiierten Festivals auf angrenzende Genres wie Klassik, Hip-Hop oder elektronische Musik gemeint, sondern auch die Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Hintergründen des Jazz.
Genießen und nachdenken: Kaum ein Konzert bei der 25. Jubiläumsausgabe von Enjoy Jazz an den Spielorten in Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen am Rhein dürfte diese beiden Pole so konsequent verbinden wie die Europapremiere von Terri Lyne Carringtons Suite „Seen/Unseen“.
Die ursprünglich für die Musik- und Kunstsektion des Massachusetts Institute of Technology (MIT) geschriebene Auftragskomposition ist ein mächtiges audiovisuelles Gesamtkunstwerk, das sich spartenoffen mit der Geschichte der Diskriminierung der afroamerikanischen Community in den USA und den Schockwellen des Todes von George Floyd im Mai 2020 durch brutale Polizeigewalt beschäftigt. Ihr gehe es darum, das „Erbe der Kreativität und des Ideenreichtums der versklavten Afrikaner und ihrer Nachkommen auszuloten, um einen Weg zu Selbstbestimmung und Gerechtigkeit zu finden“, umschreibt die mehrfach Grammy-dekorierte Schlagzeugerin und Komponistin die Idee hinter „Seen/Unseen“.
Dementsprechend konstruktiv, vielgestaltig und ermutigend ist die vierteilige Suite, die am 29. Oktober im Nationaltheater Mannheim über die Bühne geht. Carrington, die beim Enjoy-Jazz-Festival auch den zum ersten Mal vergebenen „Christian Broecking Award for Arts Education“ erhält, kombiniert die Klänge eines Streicher- und Bläserquartetts und öffnet sie immer wieder in die Vergangenheit und Zukunft des Jazz mit dem Einsatz eines DJs und Improvisatoren wie dem Schweizer Mundharmonika-Virtuosen Grégoire Maret oder der Flötistin Elena Pinderhughes. Auf der visuellen Ebene treten die Tänzerin Christiana Hunt und die Videokünstlerin Mickalene Thomas hinzu. Letztere bringt ad hoc am Laptop bearbeitete Filmaufnahmen von Sklavenschiffen oder aus dem Alltagsleben afroamerikanischer Frauen in einen aufschlussreichen Dialog mit der Musik.
Die Sichtbarmachung von Frauen ist ohnehin ein zentraler Punkt für Terri Lyne Carrington, die am Berklee College of Music das „Institute of Jazz and Gender Justice“ leitet. Unlängst veröffentlichte die Schlagzeugerin die viel beachtete Notensammlung „New Standards: 101 Lead Sheets by Women Composers“, das als Antwort auf das männerdominierte Real Book ausschließlich Stücke weiblicher Komponistinnen aufführt. Mit einer der Exponentinnen aus dem Buch, der deutschen Pianistin Anke Helfrich, spielt Carrington im Rahmen ihres zweiten Enjoy-Jazz-Auftritts am 30. Oktober in Ludwigshafen im Duett. Und auch für dieses Konzert dürfte die Losung gelten, die die geschlechterübergreifend zu den besten ihres Fachs zählende Jazz-Drummerin nach der erfolgreichen Welturaufführung von „Seen/Unseen“ am MIT ausgab: „Change must be now. Justice must be now.“

www.enjoyjazz.de

Josef Engels, 14.10.2023, Online-Artikel



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