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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Fanfare

Robert Carsen hat „Peter Grimes“ an der Mailänder Scala inszeniert (c) Brescia e Amisano/Teatro alla Scala

Fanfare

Proben, Pleiten und Premieren

Höhepunkte in Oper und Konzert

Ein Saal, halbhoch getäfelt mit einfacher Empore. Bänke, Tische eine Gerichtsschranke, die auch als Boot und schließlich Sarg dient – mehr braucht Robert Carsen nicht, um den für ihn perfekt passenden „Peter Grimes“ an der Mailänder Scala zu inszenieren. Ihm gelingt eine bewegte, minimalistisch einprägsame Produktion.
Hier ist im strengen, auf Emotion und Motion reduzierten wie konzentrierten Einheitsbild alles ein wenig anders als sonst. Das Meer, so wichtig und präsent in den von Simone Young etwas arg bräsig mit breitem Klangpinsel ausgemalten Zwischenspielen, es kommt nur als gischtende Video-See im letzten Bild vor – und trotzdem wird Benjamin Brittens Geschichte des Peter Grimes so direkt und stringent erzählt wie selten. Brutal und anonym agiert die Menge von Alberto Malazzis machtvoll singendem Chor, aus dem die hervorragend besetzten individuellen Rollen hervortreten. Grimes singt Brandon Jovanovich als finsteren Schmerzensmann schuldig und brutal, weich und klobig. Ihm steht die herbe, unentschieden angerührte Ellen Orford der temperamentstarken, fein fokussierten Nicole Car in nichts nach. Wunderbar klar sind die Nebenfiguren modelliert.

Von bella Italia geht es ins nasskalte Hamburg. Dort hat vor zwei Jahren der russische Regiestar Dmitri Tcherniakov „Elektra“ von Richard Strauss inszeniert. Und jetzt folgte die „Salome“. Im weiterverwendeten Bühnenbild. Die einstig plüschige Zimmerfolge ist jetzt schickgrau gestrichen. Und an der Tafel feiert der neureich glamourös eingekleidete Clan den Geburtstag des Familienoberhauptes. Der dauernd zu tief singende John Daszak gefällt sich in seltsamen Ritualen. Seine Gattin Herodias ist immer noch schlampenfrisch bei Stimme: Violeta Urmana.
Als letzte schlurft deren Tochter unwillig ins Esszimmer. Ist die Prinzessin Salome schön in dieser Opernnacht? Bei Tcherniakov scheint sie ein kommunikationsgestörter Twen, den Asmik Grigorian genau schneidend klar singt und der sich brennend für den Ehrengast interessiert: Kyle Ketelsen gibt als angejahrter Uniprofessor mit schütter quergekämmtem Haar den Jochanaan mit Bassbaritonschöngesang. Aber kein Kopf wird abgeschlagen und auf einem Silbertablett gereicht. Alle sind trotzdem entsetzt geflohen, Jochanaan ist, ganz komplett, längst abgegangen. Und Salome fällt tot um. Same procedure as every year? Das weiß nur Tcherniakov. Dafür dirigiert Kent Nagano die Partitur fokussiert kraftvoll, nie zu laut. Analyse statt Flimmern.

Und wieder geht es in die Wärme, gleich doppelt: im Gran Teatre del Liceu und ins alte Opernägypten. Denn in Barcelona versuchte sich ein Altmeister in tönender Paartherapie. „Antony & Cleopatra“, die achte Oper von John Adams, erlebt ihre europäische Erstaufführung in der elegant-farblosen Urinszenierung von Elkhanah Pulitzer. Adams, dessen bahnbrechendes Operndebüt, das Polittableau „Nixon in China“ von 1987, jetzt endlich auch in Deutschland mit diversen Inszenierungen die Anerkennung bekommt, die es verdient, ist immer noch ein spannender Tonsetzer. Das sieht und hört sich nicht unsympathisch an, wie sich Tony und Cleo kabbeln und knuddeln, dann aber doch von dem späteren Augustus (hier nur Caesar geheißen) kaltgestellt werden und sich selbst ausschalten müssen.
Vor allem weil eben ein unbedingt glaubhaftes Protagonistenpaar zur Verfügung steht. Gerald Finley ist mit generös sich aufschwingendem Liedbariton ein alternder Lover, der es noch einmal wissen will. Weit heroischer, mit der Opernkönigin Dido auf Augenhöhe, geht dagegen Cleopatra in ihren Schlangentod. Und Adams’ jüngste Muse, die Sopranistin Julia Bullock ist eine ägyptische Regentin nach Maß. Adams selbst steht souverän im Orchestergraben.

Manuel Brug, 02.12.2023, RONDO Ausgabe 6 / 2023



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