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Der englische Tenor Ian Bostridge ist nicht nur auf der Konzertbühne ein äußerst reflektiert zu Werk gehender Musiker. Auch in seiner Freizeit macht sich der studierte Historiker und Philosoph so seine Gedanken über das Wesen von Musik. Etwa über seine politischen und sozialen Hintergründe. Oder über Themen, die sich wie ein roter Faden durch die menschlichste aller Kunstformen, durch die Vokalmusik ziehen. Dazu gehört auch der „Tod“, den Schubert und Britten in ihren Liedern zentral besungen haben. Kein Wunder, dass diese beiden Komponisten den Dreh- und Angelpunkt eines von drei Essays bilden, mit denen sich Bostridge einmal mehr als lesenswerter Interpret präsentiert. „Meditationen über den Tod“ lautet der Titel dieses Texts, der wie die beiden anderen auf Vorlesungen basiert, die Bostridge 2021 an der University of Chicago gehalten hat. Während die „Todes“-Betrachtungen auch von Bostridges besonderer Liebe zur Musik gerade von Britten geprägt sind, hat er natürlich auch für die beiden anderen Essays auf seine reiche Erfahrung als Liedersänger zurückgreifen können. So beleuchtet er die Geschlechterfragen in der Musik anhand Robert Schumanns Liederzyklus „Frauenliebe und -leben“. In „Verborgene Geschichten“ macht er sich auf die Spurensuche von Ravels „Chansons madécasses“ von 1926. Wobei ihm hier über fast 40 Seiten das Kunststück gelingt, den historischen und politischen Background dieser Lieder bis weit ins 17. Jahrhundert und damit zum französischen Kolonialismus ungemein spannend nachzuzeichnen. Daher gilt auch für dieses Teilstück von Bostridges anspruchsvoller Gedankensammlung: Lesen bildet.
Guido Fischer, 16.12.2023, RONDO Ausgabe 6 / 2023
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