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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Marco Grob

Blind gehört – Jan Vogler

„Rostropowitsch greift rein!“

Jan Vogler, geboren 1964 in Ostberlin, ist einer der erfolgreichsten deutschen Cellisten. Außer in Berlin studierte er bei Heinrich Schiff in Basel und begann seine Laufbahn als Konzertmeister der Staatskapelle Dresden. Von 1997 an ist er nur noch solistisch unterwegs. Schon seit 1993 leitet er das von ihm mitbegründete Moritzburg Festival. Seit 2009 ist er Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Er lebt in New York und Dresden.

Nicht die Aufnahme des Stücks, die ich kenne. Aber doch: Mstislaw Rostropowitsch. Diese Aufnahme hier ist noch wilder und schneller als ich es erinnere. Ich selbst würde es auch langsamer spielen. Aber es gefällt mir trotzdem wahnsinnig gut. Das kann nur Rostropowitsch sein. Das unglaublich Mächtige in seinem Spiel, die Direktheit und das Leidenschaftliche. Nur einer noch konnte so etwas auf diesem Niveau, und zwar Daniil Shafran. Der ist es aber nicht. Gewiss, einige spielen das heute perfekter. Rostropowitsch greift einfach rein! ‚Nur nicht zögern!‘, scheint seine Devise. Immer munter drauf los. Ich meinerseits habe das Konzert einmal unter Lorin Maazel gespielt, der es 1964 im Westen erstaufgeführt hat – mit Rostropowitsch als Solist. „Ein Desaster“, so Maazel. „Rostropowitsch war jung und arrogant, ich noch jünger und noch arroganter. Ich wusste absolut nicht, was er wollte.“ Also sprach Lorin Maazel.

Dmitri Schostakowitsch

Cello-Konzert Nr. 1

Mstislaw Rostropowitsch, Moskauer Sinfonieorchester, Gennadi Roschdestwenski

1961, Warner

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Die Platte kenne ich wieder nicht. Das Stück liebe ich allerdings sehr. Ich höre hier: sehr genaue Partiturkenntnisse, eine sehr differenzierte Dynamik sowie einen außerordentlich schönen Ton. Angesichts des sehr speziellen, raschen Vibratos würde ich vermuten, dass es vielleicht André Navarra ist. – Nicht? Auch Maisky könnte das sein. Und David Geringas. Aha! Ich hab’ doch gleich dran gedacht. Bei ihm sind die russische und die französische Schule sehr dicht beieinander. Dies Allegro ist übrigens sehr unangenehm zu spielen. Alles Quarten und Quinten. Ein tolles Anfangsstück, um ein Konzert zu beginnen. Nicht zu langsam loslegen. Danach ist man als Zuhörer ganz drin.

Robert Schumann

Adagio und Allegro As-Dur, op. 70

David Geringas, Tatjana Schatz

1977, Sony

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Laaangsam. – Ich sage nichts … Weil es so gut ist. Hier hören wir richtiges, echtes Duo-Spiel. Was natürlich ganz essentiell ist. Das Klavier ist irgendwie größer. Das Cello dagegen übernimmt fast die Rolle eines Obligato, was ich hundertprozentig adäquat finde. Die beiden können extrem gut miteinander! Wenn es also nicht Pierre Fournier und Wilhelm Kempff sind, dann: Jacqueline du Pré und Daniel Barenboim. Wie schlicht das gespielt ist. Trotz extremer Tempi. Du Pré, das muss man ihr lassen, spielt eigentlich extrem diszipliniert. Sehr texttreu. Gar nicht exzentrisch oder übermäßig subjektiv. Jedes Sforzato ist hier vollkommen realisiert. Das sind genau die Sachen, die ich bei Meisterkursen gleichfalls verlange. An dem ‚Bauch‘ da – hören Sie?! – hätte ich sie jetzt erkannt.

Ludwig van Beethoven

Cello-Sonate Nr. 1

Jacqueline du Pré, Daniel Barenboim

1970, Warner

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Sergei Prokofjew (Arr. Dmitri Schostakowitsch)

Marsch aus „Die Liebe zu den drei Orangen“

Daniil Shafran, Anton Ginzburg

1996, Melodiya/Naxos

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Das Stück spiele ich nicht. Und bin auch kein großer Fan davon. Es ist aber berühmt. Und wird hier von einem sehr guten Cellisten gespielt. Richtig verstehen tue ich das Werk zwar wieder nicht. Die ungarische Musik hat eine ganz eigene Idiomatik. 1949, sagen Sie? Dafür klingt die Aufnahme sehr gut. Der Solist ist trotzdem schwer zu erkennen. Denn man kann damit alles machen – wegen des rhapsodischen Charakters. Die französische Schule war damals – noch – so stark, dass sie eigentlich alles dominierte. Der stählerne Ton immerhin, den wir hier hören, könnte auf Paul Tortelier hindeuten. Von ihm stammt die beste „Don Quixote“-Aufnahme aller Zeiten. Fournier dagegen besaß mehr Rubato. Ich habe den späten Tortelier sogar noch kennengelernt. Beim Marlborough Festival sang er am 14. Juli die Marseillaise. Eine ganz tolle Persönlichkeit, muss ich sagen.

Zoltán Kodály

Sonate für Cello solo

Paul Tortelier

1949, Audite/Note 1

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Ich habe die Dame, die dieses Stück in Auftrag gegeben hat, Frau Brown, sogar noch einmal kennengelernt. Das Werk ist hier aufnahmetechnisch leider nicht gut gelungen. ‚Cello und Klavier mit Soße.‘ Das Cello kann man hier gar nicht richtig greifen. Man hört keine Lagenwechsel. Deswegen dürfte es Alisa Weilerstein zum Beispiel nicht sein. Klingt dennoch nach einem amerikanischen Cellisten. Und ist zweifellos sehr musikalisch gespielt. (Geht ganz nahe an die Boxen heran.) Das könnte Steven Isserlis sein. – Was, Sheku Kanneh-Mason?! Sehr fantasievoll, sehr authentisch gespielt. Nur eben ein etwas merkwürdiges Klangbild. Ein sehr guter Cellist, ohne jede Frage.

Samuel Barber

Cello-Sonate op. 6

Sheku Kanneh-Mason, Isata Kanneh-Mason

2020, Decca/Universal

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Das Werk ist an mir vorbeigegangen. Gut zu wissen, dass es so was gibt. Ah, natürlich! Das ist John Williams. Yo-Yo Ma, schätze ich. Diese Farbenvielfalt! Der kann in einer Minute von Minus 10 auf Kochtemperatur hochheizen. Eine gewisse Magie ist auch immer dabei. Der setzt sich hin, legt los und geht in die Luft. Ganz tolle Interpretationsbegabung. Und eine völlig andere Schule. Wir, als ich studierte, wollten immer den Text umsetzen und mit dem Ton arbeiten. Ihm hier geht es viel mehr um Farben und um Klänge. Er hat darin eine absolute Meisterschaft erlangt. Im Umgang mit dem Hörer unschlagbar. Temperaturwechsel, würde ich sagen, sind seine Spezialität. Heiß und dabei doch ganz entspannt. Ein ganz großer Virtuose. Aber das ist ja eh klar, oder?

John Williams

Cello-Konzert

Yo-Yo Ma, Los Angeles Recording Arts Orchestra, John Williams

2001, Sony

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Sehr schweres Stück. Denn es hat viele verschiedene Tempi. Ist sehr zerklüftet. Da einen Bogen drüberzubekommen, ist die hohe Kunst. Ein tolles Duo. Zwei gleichwertige Spieler, so muss es sein. Das könnte durchaus Martha Argerich sein. Aber Rostropowitsch ist das nicht gewesen. Könnten wir hier nicht vielleicht Heinrich Schiff vor uns haben? Ich kenne seine Aufnahme von dem Stück nicht. Ein wunderschöner Ton. Hier vermutlich mit Elisabeth Leonskaja. Für Argerich wäre es auch zu beherrscht. Toll aufgenommen. Die Philips-Tonmeister haben später in Detmold an der Hochschule unterrichtet. Und sind dann bei BIS-Records gelandet. Dies ist eine sehr freie Musik, und eben deswegen umso schwerer zu erraten. Schiff hat, wie ich aus eigener Anschauung weiß, die Russen sehr bewundert. Cello muss laut sein, das genau kommt von der russischen Schule her. Er war sicherlich auch eine tolle Rampensau. Aber was für unheimlicher Gusto!

Sergei Rachmaninow

Cello-Sonate

Heinrich Schiff, Elisabeth Leonskaja

1984, Philips/Universal

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Kai Luehrs-Kaiser, 23.03.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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