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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) L’Auditori/May Zircus

Ludovic Morlot und das OBC

Mit Nationalstolz und Neugier

Es gibt viel zu tun für das Barceloner Orchester und seinen neuen Chef, die musikalischen Botschafter Kataloniens.

Manchmal ist eine Orchesterehe mit einem Dirigenten nicht nur eine Verbindung auf Zeit zwischen 80 bis 130 Individuen und ihrer musikalischen wie programmatischen Leitfigur. Bisweilen bekommt der auch noch ein ganzes Land und seine Individualität mit dazu. Und je kleiner das Orchesterland, desto schwerer wiegt das – denn schließlich hat man auch eine nationale Klangverpflichtung!
Man kann sich denken, dass diese gerade bei den besonders freiheitsdenkenden, nicht nur auf ihre sprachliche wie kulturelle Autonomie bedachten Katalanen sehr ausgeprägt ist. Wenn man ihn darauf anspricht, lächelt der Franzose Ludovic Morlot als vierfacher Grammy-Gewinner und seit 2022 frischinstallierter Chef des Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya, offiziell abgekürzt OBC. Denn das wusste der 50-jährige Lyoneser natürlich. Und diese Verpflichtung erfüllt er gern, so hingebungsvoll wie neugierig.
„Nach meiner Ausbildung als Geiger habe ich an der Londoner Royal Academy of Music und an der von Pierre Monteux gegründeten Schule für Dirigenten und Orchestermusiker in Hancock studiert. 2001 gewann ich den Dirigentenpreis der Seiji-Ozawa-Gesellschaft während des Tanglewood-Festivals“, erzählt Morlot über seinen Werdegang, der ihn – ganz untypisch – schon früh in die angloamerikanische Welt geführt hat.
„Und obwohl ich dann nochmal zwei Jahre als Hausdirigent am Orchestre National de Lyon unter David Robertson, verbracht habe, ging ich dann doch zurück nach Boston und schließlich als Chefdirigent nach Seattle zum dortigen Sinfonieorchester. Diese Tätigkeit habe ich bis 2019 ausgeübt, aber ich lebe mit meiner Familie noch immer da. Zwischendurch war ich zwischen 2011 und 2014 auch als Musikdirektor am Théâtre de la Monnaie in Brüssel engagiert, aber auf Dauer war mir die Entfernung einfach zu groß. Als Orchesterchef ist das einfacher zu managen. Zumal ich mich ja jetzt auch ganz auf das OBC konzentriere.“
Wer als musikinteressierter Tourist nach Barcelona kommt, der besucht meist nur das im Barri Gòtic gelegene, in spektakulärer Jugendstilarchitektur sich entfaltende Palau de la Música Catalana. Das heutige UNESCO-Weltkulturerbe war und ist aber eigentlich nur der Sitz des katalanischen Volkschors Orfeó Català. Und ist heute auch bei Gastorchestern beliebt. Doch eigentlich spielt sich das Klassikleben der Hafenstadt im L’Auditori statt. Das helle, moderne,
42 000 Quadratmeter große Gebäude des Archi­tekten Rafael Moneo wurde 1999 im Zentrum des neuen städtebaulichen Pols Plaça de les Glòries errichtet.

Musikalische Herzkammer Barcelonas

„Wir haben dort eine tolle Akustik“, schwärmt Ludovic Morlot, „und großzügige Architektur, die drei Säle für 2200, 600 und 400 Zuschauer umfasst. Wir haben fantastische Tonstudios, und im Gebäude sind zudem die Escola Superior de Música de Catalunya und das Museu de la Música untergebracht. Dies macht das Auditori zu einem Mittelpunkt des musikalischen Lebens in der Stadt in den verschiedenen Bereichen der Verbreitung, Lehre und Forschung.“
Wie würde Morlot sein Orchester beschreiben? „Sie sind immer noch jung, flexibel, neugierig, hungrig. Sie lassen sich auf das Ausloten von Grenzen ein, und sie vertrauen mir, so können wir gemeinsam wachsen“ sagt er ohne viel zu überlegen. „Es sind auch mehr internationale Musiker dabei, als ich gedacht hätte.“ Und ja, er kannte auch vorher schon katalanische Komponisten wie Frederic Mompou oder Felip Pedrell i Sabaté, andere musste er erst recherchieren und sich erarbeiten. „Gleichzeitig ist es mir aber auch wichtig, mit dem Orchester voranzugehen, mich für Diversity einzusetzen, Dirigentinnen zu engagieren, Musik von Komponistinnen zu programmieren. Das stößt hier auf enorm viel Gegenliebe und Enthusiasmus. Als ob man ein neues Fenster öffnet. Wir haben gegenwärtig die Kanadierin Cassandra Miller, die Amerikanerin Gabriella Smith und die Katalanin Raquel García Tomás im Fokus.“

Prädestiniert für Ravel

Doch Ludovic Morlot will natürlich auch eine Balance zum internationalen Repertoire finden, eine Schnittstelle ist für ihn da gegenwärtig Maurice Ravel. „Er hatte ja einen Vater aus der französischen Schweiz und eine baskische Mutter, da sind wir – ich aus Lyon und ein katalanisches Orchester – doch eigentlich prädestiniert, um dessen Klangerbe einmal neu zu hinterfragen. So wollen wir zu seinem 150. Geburtstag im Jahr 2025 seine Orchesterwerke auf sechs Alben neu einspielen, zumal es auch eine neue, kritische Notenausgabe gibt, denn vor allem die Orchesterstimmen sind noch immer voller Fehler. Die Edition kommt ab März 2024 auf unserem eigenen Label heraus, wird aber weltweit vertrieben.“
Seit 25 Jahren sitzt das Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya nun in seinem Auditori, auch dessen Stiftung feiert ein halbes Jahrhundert. Neben den jährlichen Konzertreihen dort war das Orchester regelmäßig auf internationalen Konzerttourneen in Europa, Asien und Amerika. Und nach einigen regionalen Abstechern geht es jetzt auch unter Ludovic Morlot erstmals ins Ausland, am 4. April gastiert das OBC etwa in der Hamburger Elbphilharmonie.
Zur weiteren Verbreitung katalanischer Komponisten gibt es neben den CDs des Orchesters mit Werken von Robert Gerhard, Núria Giménez-Comas, Hèctor Parra, Bernat Vivancos und Miquel Oliu auch monografische Alben rund um Komponisten wie Miguel Asins Arbó, Carles Suriñach, Philip Sparke, Franco Cesarini und José Miguel Fayos-Jordán, die auf L’Auditori Play als Stream kostenlos abspielbar sind; neue Aufnahmen von Xavier Pagès-Corella und Amando Blanquer Ponsoda kommen hinzu. So will man auch in Barcelona fit für das 21. Jahrhundert sein.

Weitere Infos und Tickets:

www.auditori.cat

Erscheint am 5. April:

Maurice Ravel

Orchesterwerke, Vol. 1

Ludovic Morlot, Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya

L’Auditori/Naxos

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Manuel Brug, 06.04.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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