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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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Aribert Reimann (†) gehört zu den meistaufgeführten zeitgenössischen Komponisten (hier an der Oper Frankfurt, 2010) © Aldus Rietveld/Wikimedia/CC-BY-SA 3.0

Pasticcio

Meister der menschlichen Stimme

Anfang Februar war Aribert Reimann noch mit dem Deutschen Musikautorenpreis der GEMA für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden. In ihrer Begründung hob die Jury nicht nur Reimanns Vokalschaffen hervor, mit dem er „uns mit den Bedingungen der menschlichen Existenz und ihren Gefährdungen konfrontiert.“ Auch der bedeutende Lehrer, der den Busoni-Kompositionspreis für junge Komponisten gestiftet hat, wurde gewürdigt. Nun ist Reimann am 13. März im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben.
Am Anfang seiner Laufbahn hatte auch er immer wieder den wichtigen Rat bei erfahrenen Meistern ihres Fachs gesucht. Den wohl wegweisendsten bekam er direkt als frischgebackener Abiturient. Als Aribert Reimann 1955 sein Studium an der Berliner Musikhochschule antrat, empfing ihn sein Lehrer Boris Blacher mit dem Hinweis. „Das, was auf den Musikfesten passiert, sollte Sie nicht interessieren“, so Blacher warnend zu seinem jungen Studenten. „Halten Sie sich an das, was nebenher geschrieben wird, nicht an diese Ghettokonzerte.“ Damals war Reimann noch nicht einmal Zwanzig und dementsprechend neugierig, was sich gerade in den Zentren der Neuen Musik wie Darmstadt tat. Doch den Tipp seines Kompositionslehrers, sich nicht von bestimmten Klangmoden in seiner Fantasie einengen zu lassen, sollte Reimann fortan nicht nur radikal befolgen. Als er selbst längst ein gefeierter Komponist war, empfahl er jungen Kollegen immer wieder, unbedingt die eigene Sprache zu finden. „Das finde ich das aller Wichtigste.“
Für dieses Beharren auf ein individuelles, sich auch im hohen Alter weiterentwickelndes Klangvokabular wurde Reimann verehrt und auch mit Preisen bedacht. Für sein umfangreiches und facettenreiches Schaffen erhielt er u.a. 2011 den „Ernst-von-Siemens-Musikpreis“, der als Nobelpreis für Musik gilt. Doch die wertvollste Anerkennung kam vom Spielbetrieb. Reimann gehörte nämlich zu den meistaufgeführten zeitgenössischen Komponisten. Besonders gilt dies für den Opernkomponisten, der 1978 mit „Lear“ endgültig den internationalen Durchbruch schaffte. Allein diese Shakespeare-Vertonung ist seit der epochalen Münchner Uraufführung weltweit an allen großen Häusern in rund 40 Neuproduktionen zu hören und zu sehen gewesen. 2020 brachte die Bayerische Staatsoper das Werk gar in einer weiteren Neuinszenierung heraus, diesmal in der Regie von Christoph Marthaler und mit Christian Gerhaher als „Lear“.
Für solch ein noch relativ junges Musiktheaterstück ist diese Aufführungsserie schon mehr als verblüffend. Andererseits drückt sich in dieser Resonanz eben Reimanns untrügliches Gespür für das faszinierende Zusammenspiel von Musik und Wort aus. Mit seinen melismatisch ausschwingenden, die Schnittstellen zwischen Romantik und Moderne auslotenden Vokalwerken konnte Reimann wie kaum ein Zweiter seiner Generation die Ausdruckstiefe der menschlichen Seele zum Klingen und zum Sprechen bringen. Zum Glück war Reimann auch noch so doppelbegabt, dass er eine Zweitkarriere als Liedbegleiter zeitlebens aufrechterhalten konnte. Dabei gab er mit u.a. Dietrich Fischer-Dieskau, Brigitte Fassbaender und Christine Schäfer zahllose Konzerte und spielte mit ihnen wichtige Aufnahmen ein. Reimanns Lebenswerk – es wird noch sehr lange nachklingen.

Guido Fischer



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