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N° 1355
27.04. - 06.05.2024

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am 04.05.2024



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Pionier, Praktiker & Dauerbrenner des Neuen Musiktheaters: Der Komponist und Dirigent Péter Eötvös † © Szilvia Csibi

Pasticcio

Immer auf dem Sprung

Es sind genau diese Zufälle, die dem Leben den erhofften Spin geben. Als Péter Eötvös irgendwann im Jahr 1966 so durch die Flure der Kölner Musikhochschule schlenderte, fiel sein Blick plötzlich auf einen kleinen Aushang. „Stockhausen sucht Kopisten“, stand da zu lesen. Und wie Eötvös später einmal gestand, war er sogleich wie vom Donner gerührt. Schon in seiner ungarischen Heimat hatte er Karlheinz Stockhausen für seinen elektronischen Klangmeilenstein „Gesang der Jünglinge“ bewundert und davon geträumt, ihn einmal kennenzulernen. Nun bot sich dem 22-Jährigen, der dank eines Stipendiums an den Rhein gekommen war, diese einmalige Chance. Eötvös griff sofort zu. Und nachdem er zunächst monatelang damit beschäftigt war, Stockhausens „Telemusik“ abzuschreiben, gehörte er schon bald zum Inner Circle des exklusiven Stockhausen-Clans. Als Pianist, Schlagzeuger und Klangregisseur reiste er mit dem Neue-Musik-Guru die nächsten Jahre mehrmals um die Welt. Von ihm bekam er wichtige Anregungen für sein eigenes kompositorisches Denken. Und viel später dann leitete er in London und Mailand die Uraufführungen einiger Teilstücke aus Stockhausens Opern-Opus Magnum „Licht“. Bis zu Stockhausens Tod 2007 blieb man sich freundschaftlich und künstlerisch eng verbunden.
Wie Pierre Boulez war auch Péter Eötvös ein genialisch Doppelbegabter. International machte er rasch als Dirigent Karriere und war u.a. von 1978 bis 1991 Chefdirigent des einst von Boulez gegründeten Pariser Ensemble intercontemporain. Parallel erwies er sich als ein genauso erfolgreicher Komponist. Wobei er sich nie exklusiv auf eine Seite schlug bzw. einer Klangsprache verschrieb. Der am 2. Januar 1944 in Székelyudvarhely (Transsilvanien) geborene Schüler von Zoltán Kodály bekannte sich auch zur Tonalität. Bei ihm durfte Komplexität durchaus virtuos anspringende Züge besitzen. Und bei seinen stilpluralistisch verschachtelten und geschichteten Experimenten kam es schon mal zu vibrierenden Kämpfen zwischen kompakten Geräuschen und gar Anleihen aus dem Jazz und Rock! Schließlich, so lautete Eötvös´ Credo, „wünsche ich mir, als Komponist von der Pop-Jazz-Seite herzukommen und alle E-Musik-Grenzen zu sprengen.“ Wenn man sich beispielsweise sein Stück „Jet Stream“ anhört, das er 2002 für Trompete und Orchester geschrieben hat, versteht man, warum er schon früh Miles Davies zu seinen musikalischen Helden zählte. Und das so burlesk dahingroovende „Paris – Dakar“ für Posaune und Big Band könnte insgeheim eine Hommage an den ebenfalls so bewunderten Frank Zappa sein.
In zahlreichen Instrumentalkompositionen hat sich Eötvös zudem immer wieder mit der Musikalität von Sprache auseinandergesetzt. Ob in Streichquartetten oder in dem furiosen Konversationsstück „Snatches“, bei dem ein Trompeter auf einen brabbelnden und nuschelnden Sprechersolisten trifft. Von solchen surrealen, instrumentalen Musiktheater-Coups führte ihn sein Weg stets zur guten alten Oper. Seine Vertonung des Tschechow-Dramas „Drei Schwestern“ hat sich seit der Uraufführung 1998 zu einem vielfach inszenierten Dauerbrenner im Neuen Musiktheater entwickelt. Ähnlich bejubelt wurden seine nachfolgenden Fassungen von Jean Genets „Le Balcon“, „Angels in America“ nach Tony Kushner und „Die Tragödie des Teufels“, die in Zusammenarbeit mit Albert Ostermaier entstanden ist.
Als 2014 nicht nur die Neue-Musik-Welt den 70. Geburtstag von Eötvös feierte, steuerte auch der Trompeter Marco Blaauw einen kleinen Gruß bei: „Seine Musik und sein Dirigieren haben mich immer inspiriert. Seine freundliche, souveräne, konzentrierte Art des Teamworks, gepaart mit großer Musikalität und viel Humor, ist für mich einfach beispielhaft.“ Jetzt ist Péter Eötvös im Alter von 80 Jahren in Budapest gestorben.

Guido Fischer



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