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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

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am 27.04.2024



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Musik im Riesen

Feine Klunker

Mein Bekenntnis für heute: Ich liebe Museen mit Fake-Faktor! Die Wohnung des fiktiven Sherlock Holmes in der Londoner Baker-Street (das Einlasspersonal trägt Häubchen): wundervoll! Dass ein Museum voll falscher Edelsteine, Swarovskis „Kristallwelten“ in Wattens, die am zweithäufigsten besuchte Sehenswürdigkeit in Österreich ist (700 000 Besucher pro Jahr; mehr hat nur Schönbrunn!) – das ist eine Tatsache von köstlich ironischer Erhabenheit. Verständlich auch. Hier ließ schon Maria Callas für ihre Bühnenauftritte arbeiten. Von hier kommen die Debütantinnen-Krönchen beim Wiener Opernball. Jessye Norman singt in der Ausstellung live.
Untendrunter, gleich unter dem Verkaufsshop, tobt alljährlich ein blitzsauberes, stargespicktes Kammermusikfestival, dessen Mitwirkende nicht wegen der feinen Klunker kommen. In diesem Jahr z.B. Christian Tetzlaff, Isabelle Faust und Patricia Kopatchinskaja. Schon zum zehnten Mal betreut Komponist Thomas Larcher die „Musik im Riesen“, wie das Festival in Anlehnung an die Eingangsskulptur des grasbewachsenen Museumsbaus heißt. „Meine Heimat“, sagt Larcher und erzählt, wie ein reger Musik-Sponsor irgendwann beschlossen habe, die Mittel in ein eigenes, kleines Festival fließen zu lassen. Vorbildlich! Und landschaftlich hinreißend mit umliegendem Bergpanorama und der mittelalterlichen Salzstadt Hall nebenan.
Die Bühne ist intim, die Akustik erstaunlich gut. Der Familienbetrieb (in 5. Generation) lässt einige Konzerte sogar im Hochsicherheitstrakt des Werksgeländes zu. So streng geheim die Herstellungsformel der falschen Brillis sein mag, so erfolgreich hat sich die Firma stets davor geschützt, campy zu werden. Man nützt die Klassik als Qualitäts-Gütesiegel. Nichts dagegen. Denn: Falsches echt erscheinen zu lassen, das ist die hohe Schule der Zauberei. Sogar die Kristall-Lüster der New Yorker Metropolitan Opera kommen folgerichtig von hier. Aus Tirol.

Robert Fraunholzer, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 2 / 2013



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