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A ls Hans Severius Ziegler vor genau 75 Jahren nach einem Motiv für seine Hetz-Ausstellung „Entartete Musik“ suchte, wählte er einen schwarzen Jazz-Musiker mit Saxofon. Um sicherzugehen, dass der nicht als Sympathieträger gemeint war, retuschierte man ihm gleich noch einen Judenstern an’s Revers. Für die Nazis verkörperte diese Figur alles, was sie an der Musik der neuen Zeit fürchteten.
Für den Durchschnittsbürger der Weimarer Republik war genau dieser Saxofonspieler der Titelheld einer der beliebtesten Opern: „Jonny spielt auf“. Mit diesem Werk voller Jazzeinflüsse, in der der gerissene Musiker Jonny erst zum Dieb wird, dann dem verklemmten deutschen Komponisten Max mit einem kräftigen Schubs dazu verhilft, den Zug seines Lebens nicht zu verpassen, gelang Ernst Krenek, Assistent des Intendanten in Kassel, der Durchbruch. Im Ernst Krenek Forum in Krems zeigt eine Landkarte eindrucksvoll, welchen Siegeszug das flotte Werk durch die Opernhäuser Europas antrat. Fluch und Segen zugleich: Denn Krenek, Schwiegersohn Mahlers, der kurz darauf mit „Karl V.“ die erste Zwölftonoper der Geschichte schrieb, war für ein großes Publikum als unterhaltsamer Komponist festgelegt. Das war er auch, aber nicht nur: Wohl kaum ein Kollege des 20. Jahrhunderts hat sich die enorme Stilvielfalt seiner Zeit so angeeignet, wie er. Und da er bis 1991 lebte und arbeitete, galt er als Kaleidoskop seines Jahrhunderts. Kein Wunder, dass nach dem Krieg die jungen Wilden in Darmstadt stöhnten, wenn der Fünfzigjährige ihnen nach einem halben Jahr Studium in serieller Komposition was vormachen konnte. Von all dem kann man sich im Ernst Krenek Forum ein Bild machen, das auf angenehm überschaubarer Fläche bei zugleich klug ausgewählten Exponaten, Dokumenten und Musikbeispielen seiner Aufgabe gerecht wird: Neugier für einen unterschätzten Großen der Musikgeschichte zu wecken.
Die Ernst Krenek Institut Privatstiftung, die seine Witwe Gladys 2004 gründete und die das Forum betreibt, verfolgt dieses Ziel auf vielerlei Wegen. Auf wissenschaftlichem Gebiet verwaltet sie die musikalischen Handschriften und den Nachlass von 30.000 Briefen, der Bibliothek, Aufnahmen, Tonbändern und Noten, die erfasst und zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus organisieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um Musiker und Generalsekretär Florian Schönwiese Symposien, unterstützen Forschungsprojekte, Radio- und Fernsehsendungen und CD-Aufnahmen. Der Haken bei dieser Arbeit, so Schönwiese, liegt vor allem daran, dass Krenek 20 Jahre nach seinem Tod „für Plattformen zeitgenössischer Musik nicht mehr, und für traditionelle Veranstalter noch nicht“ infrage komme. Ein Irrtum, den nur die Praxis widerlegen kann.
Daher stellt sich die Stiftung leidenschaftlich als Partner für Musiker und Institutionen zur Verfügung, die sich Kreneks Werk vornehmen. Das nächste Großprojekt ist die Zusammenarbeit mit dem Salzburger Landestheater, das am 7. Dezember den „Jonny“ unter der Regie von Operndirektor Andreas Gergen und in der musikalischen Leitung von Adrian Kelly auf die Bühne bringt. Begleitend dazu wird das Kremser Institut Elemente ihrer Wanderausstellung beisteuern und in Vermittlungsprojekten Kinder und Jugendliche für das Stück zu gewinnen suchen. Das sollte angesichts der turbulenten Handlung nicht allzu schwer fallen. Und spätestens, wenn zum Schluss des Stückes Jonny mit der ergaunerten Violine die Menschen unter seinen galoppierend-fröhlichen Rhythmen zum großen Tanz zwingt (und sich dabei als Allegorie des Jazz höchstselbst entpuppt, der die Tanzlokale von Berlin bis Paris in den Zwanzigerjahren im Sturm eroberte), ist man heilfroh, dass er heute wieder den Ton angeben kann, und nicht ein Hans Ziegler. Wer war das doch gleich nochmal?
Toccata/Naxos
Oehms/Naxos
Carsten Hinrichs, 19.10.2013, RONDO Ausgabe 5 / 2013
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