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Nur Fliegen ist schöner. Zumindest muss man das annehmen, wenn man eintritt in das Leben von Alexander Melnikov. Denn der Russe mit Wohnsitzen in Berlin und Moskau hat zwei Leidenschaften, die auf den ersten Blick kaum zueinanderpassen wollen. Er ist Pianist (womit er sein Geld verdient). Und er ist Pilot (womit er das meiste des verdienten Geldes sogleich wieder in die Lüfte wirft). Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust? Beschaut man die Dinge bei Lichte, ist der Unterschied zwischen den Extremen nicht gar so groß. Denn für beide Vorlieben benötigt der Berufene ein hohes Maß an technischem Geschick, Einfühlungsvermögen für die Instrumente sowie den unnachgiebigen Hang, neues Land erkunden zu wollen. Eigenschaften, die sowohl den Luftmenschen als auch den Erdenmenschen Melnikov auszeichnen. Dem Wesen nach ist der Sohn einer Philologin und eines Mathematikers weit eher vom Schlage eines Swjatoslaw Richter als eines Emil Gilels: entschieden mehr ein Stoiker am Flügel als ein rasend-enthemmter Sanguiniker. Sensationen sind ihm fremd. Effekte ebenso.
Wer sein Spiel deswegen nüchtern-analytisch nennen will, dem sei dies überlassen. Es empfiehlt sich jedenfalls, sehr genau hineinzuhören in seine Wiedergaben. Denn diese sind vor allem eines: sublim. Melnikov ist ein Klangerforscher von hohen Gnaden, ein sensitiver Pianist, der gleichsam in die Werke hineinkriecht mit der Taschenlampe, um noch das feinste Detail auszuleuchten. Struktur spielt stets eine eminent wichtige Rolle für ihn, verbunden mit einem klanglichen Raffinement, über das – wiewohl ganz anders konnotiert und semantisch ganz anders aufgeladen – unter den osteuropäischen Pianisten seiner Generation nur noch Arcadi Volodos gebietet.
Nach Aufnahmen mit Werken Rachmaninows und Skrjabins hat er sich einem der zentralen Klavierwerke von Dmitri Schostakowitsch zugewandt, von welchem der Musikwissenschaftler Levon Akopian nicht ganz zu Unrecht sagte, es sei für die Ewigkeit geschrieben: Die Rede geht von den Präludien und Fugen op. 87. Eine Musik wie für Melnikov geschaffen. Von einer introvertierten Intensität wie er selbst, strukturell durchdacht bis ins Letzte, aber zugleich durchdrungen von kühnem experimentellen Geist. Geschrieben in einer persönlich äußerst prekären Situation, direkt nach dem Schdanow-Angriff 1948, als eine Art musikalisches Tagebuch, das den gesellschaftlichen Auftrag dementiert, aber als private Mitteilung doch wieder von solch einer Tragweite ist, dass sie dem Politischen das Gesicht blendet. Ein Wort von Helmut Lachenmann trifft hier zu: Schostakowitsch sei ein »Revolutionär im Tarnanzug« gewesen. Aufs Pianistische übertragen könnte man über Alexander Melnikov im Grunde Ähnliches sagen.
Jürgen Otten, 18.01.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2010
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