Startseite · Interview · Blind gehört
Katharina Bäuml ist eine gefragte Barock-Oboistin und die führende deutsche Schalmei-Spielerin. Ihr Ensemble Capella de la Torre gilt als das wichtigste deutsche Renaissance-Ensemble. Ihre Begeisterung fürs Repertoire und ihr Instrument spürt man nicht nur in ihren Konzerten. Auch im "Blind gehört" erweist sich die in München geborene Wahl- Berlinerin als Enthusiastin.
Ich denke fast, ich kenne die Aufnahme, aber ich weiß nicht, wer es ist. Ich finde es ganz toll gespielt, weil es so einen Puls hat, es ist wie ein Rad, das sich immer weiter dreht, mal ein bisschen schneller, mal langsamer. Er hat einen ausgesprochen schönen Ton. Ich glaube, es ist ein Mann. Ich glaube nicht, dass es Albrecht Mayer ist, aber er könnte es sein.
Ich bin inzwischen ganz weit weg von der modernen Oboe. Am Anfang wollte ich natürlich unbedingt in ein großes Orchester. Dann habe ich die Barock-Oboe entdeckt und wollte unbedingt mit der Akademie für Alte Musik Berlin und Mark Minkowski und diesen Orchestern spielen. Und dann hat es mich noch ein paar Jahrhunderte weiter zurück verschlagen. Barock-Oboe spiele ich immer noch unglaublich gern, moderne Oboe nur noch heimlich zum Spaß. Im Studium ist das Ziel ein dunkler Ton, da muss man so und so phrasieren und diese bestimmte Kadenz spielen, und das Rohr muss so und so klingen. Inzwischen bin ich ganz davon abgekommen, dass alles genormt sein muss. Was mich an meinem Instrument, ob Oboe oder Schalmei, so fasziniert, ist das Reinblasen. Dieses Gefühl, dass Luft fließt und flexibel ist und dass man damit eine Welle machen kann. Nur darum geht es: dass es vibriert und Musik macht.
Wie ich zur Barock-Oboe gekommen bin, kann ich genau benennen: Wir haben in einer Klassenstunde die Matthäuspassion gespielt, und da habe ich mich gefragt, wie das mit weniger Mitspielern und anderer Artikulation und anderem Instrumentarium klingen würde. Mich hat fasziniert, dass man in der Barockmusik meist in kleineren Gruppen musiziert und dadurch näher miteinander kommuniziert. Und dann hat mich meine Neugier weiter in die Renaissancemusik getrieben. Aber egal ob Schalmei oder Barock- oder moderne Oboe – was zählt, ist der Musiker dahinter.
Das war doch Albrecht? Ich habe ihn im Orchester oft mit breitem Ton gehört. Aber dieser schlanke Klang ist auch toll. Die CD habe ich zu Hause.
Diesen Concerti trauere ich nicht hinterher. Im Studium dachte ich, wenn du am Abend ein Albinoni-Konzert spielst, dann hast du was geleistet. Wenn ich dies hier höre, denke ich: Das ist schön, würde mich aber nicht erfüllen. (Es erklingt der langsame Satz.) Das ist schön. Der Klang ist schön, sie machen einen schönen Aufbau. Aber es soll mich doch mitreißen. Mir fehlt die Energie. Ich weiß einfach, was als nächster Ton, als nächster Akkord kommen wird. Dabei möchte ich doch überrascht werden. Wenn Albrecht ein Stück spielt, das jeder kennt, überrascht er dich trotzdem immer wieder. Wer Musik macht, lässt die Leute in sein Inneres gucken. Und ich finde es einfach schön, wenn man unmittelbar und ungeschützt etwas sehen kann. Dies ist mir viel zu kontrolliert. Alfredo Bernardini? Der ist toll, der hat so viel Witz. Aber den hört man hier überhaupt nicht. Da bin ich platt.
Das ist Alta Capella, wie man sie in den letzten 30 Jahren gewohnt ist zu hören. Sind das les haulz et les bas? Das ist die Band eines ganz tollen Musikers, der in Freiburg lebt, Ian Harrison. Die haben einen ganz anderen Ansatz als ich. Sie sind der Meinung, dass Schalmeien sehr direkt und sehr laut sein müssen und nicht zusammen mit anderen Instrumenten und Sängern funktionieren. Wenn sie eine leise Farbe haben wollen, steigen sie auf Zink um. Aber das muss nicht richtig sein. Am Dresdner Hof gab es laut Inventarlisten 30 verschiedene Rohrblattinstrumente, die können nicht alle furchtbar geklungen haben. Das Instrument ist schon ein wildes Ding, das man zähmen muss, ohne es zu knebeln. Der Klang wird immer etwas Glänzendes, Nasales behalten – was ich sehr mag. Aber ich bin sicher, dass die Schalmeien bei einem Bankett im 15. Jahrhundert nicht so laut gespielt haben, dass den Leuten der Wein aus dem Glas geschwappt ist. Es gibt inzwischen unglaublich tolle Zinkenisten. Wenn ein Zink nicht gut klingt, weiß jeder, das war nicht gut gespielt. Wenn eine Schalmei schlecht klingt, denkt jeder, naja, soll sie halt eine Oboe nehmen. Ich wünsche mir, dass man an eine Schalmei genauso einen hohen Anspruch wie an andere Instrumente stellt, und dass man sie genauso liebevoll behandelt.
Ich kenne das Stück nicht, aber das ist 17. oder frühes 18. Jahrhundert, lateinamerikanisch. Ich liebe diese Musik. Wenn ich freiwillig zu Hause etwas höre, dann meist 17. Jahrhundert. Das ist mir so nah. Dass ich in die Musik der Alta Capella reingerutscht bin, liegt an Spanien. Ich war noch im Studium in Basel, als ich einen Anruf aus Valencia bekam, ob ich mit Alt-Pommer einspringen könnte. Am nächsten Abend stand ich in einem Saal vor 2500 Leuten mit einem Männerchor und drei anderen Instrumentalisten. Mit einem Instrument in der Hand, das ich nicht wirklich gut kannte. Es ging trotzdem gut. Da merkte ich, man kann das professionell machen. Aber man muss es gut machen ...
Bei Capella de la Torre sind wir im Kern ein Bläserensemble, aber es sind fast immer Sänger dabei. Gesang ist mir wichtig, weil man viele Dinge nur über die Texte versteht. Es gibt gar nicht viele Sänger, die sich auf diese Musik einlassen. Die Koloraturen sind ja nicht ausgeschrieben, da muss man sich auskennen. Und die Sänger dürfen keine Angst haben, mit vier Bläsern gemeinsam im Halbkreis zu stehen. Es macht unglaublich viel Spaß, Programme zu konzipieren, wir können machen, was wir wollen. Wenn Mark Minkowski mich anruft und fragt, ob ich die h-Moll-Messe mitspielen kann, dann nehme ich die Noten, übe und weiß genau, was passiert. Bei den Capella- Konzerten spielen wir manchmal Stücke, die 500 Jahre keiner mehr gespielt hat, da fängt man an zu probieren. Das ist toll, aber anstrengend. Aber ich möchte nicht mehr ohne sein.
Ich finde es großartig, so etwas auf einem Akkordeon zu spielen. Wenn jeder sein eigenes bewahrt und er selber bleibt, kann man vieles machen und ausprobieren, denke ich. Solange man sich nicht verkauft und nichts macht, was man nicht ist, geht alles. Ich arbeite auch mit einer tollen Akkordeonistin, Margit Kern. Vor drei Jahren haben wir beschlossen, wir probieren es einfach, und es passte. Dass ein Akkordeon gleichschwebend gestimmt ist, ist ein echtes Problem, aber mit Tricks kann man einiges machen. Für mich ist das eine weitere Möglichkeit, mein Instrument in die Gegenwart zu bringen. Wir spielen Alte Musik und Musik von heute. In der Alten Musik fühle ich mich zu Hause, aber ich genieße die Ausflüge in die neue Musik. Beim Jazz geht es mir genauso, wenn wir mit Capella de la Torre gemeinsam mit Michel Godard spielen. Wenn wir ein neues Projekt erarbeiten und der Moment da ist, dass es von allein schwingt, dann kommen keine Fragen mehr, da gehen alle blind in eine Richtung – weil es das ist, was jeder sucht.
Ist das Lerma? Ein tolles Projekt. In diesem Codex aus dem 16. Jahrhundert findet man auch Palestrina, und davor steht Posaune, Pommer, Dulcian – dabei ist Palestrina doch heilig für Sänger. Das hat mich umgehauen, als ich das zum ersten Mal gehört habe. Ich will wirklich nicht über meine Schalmeienkollegen schimpfen, aber die Blechbläser unten sind rund und flexibel, und die drei Schalmeien darüber spielen steif und ganz gerade. Die Zink- und Posaunenstücke klingen schön rund, und die Schalmei macht immer nur bäääp. Selbst ein Pianist schafft es, auf dem Klavier zu singen. Das muss doch auf der Schalmei auch gehen. Das war einmal das Königsinstrument, ehe es in die Ecke der Hirtenmusik gerückt ist. Aus dieser Ecke muss es wieder heraus! Renaissancemusik auf hohem Niveau braucht einfach mehr Öffentlichkeit, muss einfach eine größere Rolle spielen. Auch in der Hochschulausbildung. Es gibt viele junge Leute, die neugierig sind auf die Musik vor 1600 – dieses Potential müssen wir nutzen.
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