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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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John Adams

El Niño

Dawn Upshaw, Lorraine Hunt Lieberson, Willard White, Theatre of Voices, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Kent Nagano

Nonesuch/Warner Classics 7559-79634-2
(111 Min., 01/2001) 2 CDs

John Adams, der virtuose, ironische Zitierkünstler und Alte-Formen-Neu-Zuammensetzer, hat mit "El Niño" ein großes, unironisches und letztlich traditionelles Oratorium komponiert. "El Niño", zu deutsch "das Kind" hat die biblische Geschichte von der Geburt Jesu zur Vorlage. Die Doppeldeutigkeit des Titels ist beabsichtigt und deutet auf den gewaltigen Sturm, den dieses Kind in der Religion entfachen sollte.
Adams verzichtet darauf, einfach den bekannten Bibeltext nachzuerzählen, sondern montiert, gemeinsam mit seinem Librettisten Peter Sellars, in drei Sprachen – Englisch, Spanisch, Latein – verschiedene Quellen von Apokryphen über Hildegard von Bingen bis hin zu lateinamerikanischer Lyrik zu einem Prisma über das Thema der Geburt zusammen. Dabei erhält die Geschichte, besonders durch die Gedichte zweier südamerikanischer Lyrikerinnen, eine spezifisch weibliche Komponente, wird die erzählte Geschichte zu einer Metapher für die Entstehung des Lebens an sich.
Ob Adams und Sellars die Kombination der einzelnen Texte gelungen ist, vermag ich nicht zu beurteilen, da mein Rezensions-Exemplar noch ohne Beiheft mit Libretto war. Gelungen ist es Adams aber auf jeden Fall, musikalisch eine ebenso große Vielfalt zu präsentieren wie in den zugrundegelegten Texten. "El Niño" bedeutet nichts weniger als eine große Synthese aller Grundbestandteile, die die Phasen von Adams kompositorischer Entwicklung prägten: Selbst die minimalistisch pulsierenden Klangflächen aus der Frühzeit sind wieder da.
Neu hinzugekommen ist eine volksliedhafte Einfachheit – etwa im anrührenden Schluss des Werks – und eine Rückbesinnung in Richtung Mittelalter, die immer dann zum Sprechen kommt, wenn die drei Kontratenöre von Paul Hilliers Theatre of Voices das Wort ergreifen. Wie immer bei Adams ist die Instrumentation meisterhaft, kristallklar, beinahe dreidimensional.
Was in "El Niño" fehlt, ist die Kunst der Ironie, des Spiels mit doppeltem Boden, die Adams vor allem in seinen Orchesterwerken und Konzerten so meisterlich beherrscht. Vielleicht schien ihm das Thema dazu nicht angemessen, vielleicht aber wollte er auch der Welt beweisen, dass er ein "richtiges" Oratorium schreiben kann. Und genau die Elemente der Partitur, die unverhohlen auf die Tradition des Oratoriums zurückgreifen, sind es, die am wenigsten überzeugen, da sie lediglich Konventionen bedienen: viele der durchweg hervorragend gestalteten Arien und nicht zuletzt die großen ebenfalls sehr überzeugend präsentierten Chöre, bei denen ich mehr als einmal mit ziemlich unguten Schauern im Rücken an Carl Orff denken musste.

Thomas Schulz, 01.09.2007


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