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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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America At War

Joel Harrison + 18

Sunnyside/Good To Go SSC 1590
(73 Min., 1/2019)

Selten war eine Platte so brandaktuell wie Joel Harrisons 2014 bis 2017 konzipierte, im Januar 2019 eingespielte und Ende April 2020 veröffentlichte Scheibe „America At War“. Zunächst hätten ihn die Invasionen in fremde Länder bewegt, berichtet der amerikanische Gitarrist in den Liner Notes. Aber seit den ersten Ideen „sahen wir einen anderen Krieg heranwachsen, einen Vernichtungskampf um die Seele unserer Nation“. Eventuell würde ein weiteres Projekt sich damit befassen.
Dennoch passt bereits der erste Titel zur aktuellen Lage: Eine Erinnerung an den „March On Washington“, bei dem am 28. August 1963 eine Viertelmillion Amerikaner für „jobs and freedom“ demonstrierten und Martin Luther King seine große Rede „I have a dream“ hielt. Als kulturelle Referenz an diese Zeit der Bürgerrechtsbewegung klingen Motive aus Miles Davis Album „Bitches Brew“ sowie das Thema von Jimi Hendrix „Machine Gun“, Bob Dylans „Blowinʼ In The Wind“ und dem Song „We Shall Not Be Moved“ an.
Joel Harrison könnte seine Empörung über die Behauptung des US-Präsidenten George W. Bush, Saddam Hussein besitze den „Yellowcake“ zur Herstellung von Atombomben, in schrille Töne fassen – immerhin wurde damit 2002 der Irak-Kriegs gerechtfertigt. Macht er aber nicht. Er möchte, dass seine Musik bewegt und nicht abstößt. So startet sein achtzehnköpfiges Ensemble zwar mit bedrohlichem Grummeln, dreht dann aber zum peitschenden Jazzrock um. Auch „My Father In Nagasaki“ beginnt mit einem klanglichen Abbild der Öde nach dem Atombombenabwurf und wendet sich zu tastenden Wiedererwachungsklängen.
Den Krieg in Afghanistan kommentiert die Band mit aufwühlendem Puls sowie dem Kontrast aus orientalisch anmutenden und harten rauen Soli, und das „Requiem For An Unknown Soldier“ gestaltet er als nachdenkliches Trauerlied. Die Rockballade „Gratitude“ verbindet die persönliche Dankbarkeit, eine Gehirnverletzung überwunden zu haben, mit den Traumata der Soldaten, der „Honor Song“ mengt mit einem Hauch von Ironie dumpfe Trommeln mit tänzerischen und hymnischen Passagen. Schwer stapft anfangs „Stupid, Pointless, Heartless Drug Wars“, bis die Nummer in über Free-Einwürfe zu einem pseudoharmonischen Finale findet.
Bei all dem kommt Joel Harrison ohne Text aus. Einzig in seiner Coverversion von Tom Waitsʼ „Day After Tomorrow“ singt er mit rauer, kantiger Stimme das Lied des Soldaten, der sich auf seine Heimkehr freut. Während Tom Waits Originalfassung von 2004 wie das Selbstgespräch eines völlig ausgelaugten und erschöpften Soldaten klingt, schimmert in Joel Harrisons Bigband-Fassung die Hoffnung auf ein Leben nach dem Krieg durch.

Werner Stiefele, 20.06.2020


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