Ein opulentes Album mit Streichern wie die Vorbilder Charlie Parker und Clifford Brown – in solchen Fällen spricht man ja gerne von der Erfüllung eines lebenslangen Traumes. Nicht so im Falle des Schweizer Flügelhorn-Poeten Franco Ambrosetti. Schon 1979 hatte er diesen Wunsch mit einer Aufnahme an der Seite u. a. von Ron Carter und einem von Don Sebesky angeleiteten Streicherensemble der Mailänder Scala Wirklichkeit werden lassen, wie er im Booklet von „Nora“ verrät.
Dass er kurz nach seinem 80. Geburtstag in den New Yorker Sear Studios noch einmal gemeinsame Sache mit einer Weltklasse-Besetzung (Uri Caine am Klavier, John Scofield an der Gitarre, Scott Colley am Bass und Peter Erskine an den Drums) und einem 22-köpfigen Orchester machte, ist für Freunde des klassischen Midcentury-Jazz, Balladenliebhaber und Trompeten-Feinschmecker ein absoluter Glücksfall.
Ungemein elegant fließen Ambrosetti die Melodien aus dem Horn. Sein Spiel, in dem die Töne zart zusammenschmelzen, haben eine geradezu ansteckende Wirkung auf seine Co-Solisten. Scofields demütige Legatolinien und Caines bluesig-sparsame Chorusse fügen sich perfekt in das ausgewogen weiche Gesamtbild ein.
Dieses wird entscheidend geprägt von Alan Broadbents orchestralen Arrangements. Sie sorgen dafür, dass nicht nur Ambrosettis Originals „Nora“ und „Sweet Journey“ melodramatisch funkeln wie die Träne im Auge einer Hollywood-Diva, sondern auch leidlich durchgenudelte Standards an Spannung gewinnen. In „All Blues“ und „Autumn Leaves“ dürfen die Streicher ein selbstbewusstes Eigenleben fernab des schnöden Beilagendaseins der früheren „With Strings“-Zeiten führen. Und was Broadbent aus John Coltranes „After the Rain“ gemacht hat, das wie ein impressionistisches Gemälde daherkommt, ist schlicht meisterhaft. Ein schöneres Geschenk zu dessen 80. Geburtstag hätte er Ambrosetti nicht machen können.

Josef Engels, 26.11.2022

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